Erfrischung in kalten Zeiten

von Michael Weiser

Neopren statt feiner Zwirn: Gespanntes Warten im Dante-Bad Bild: Regine Heiland

Münchens Spezialisten für Neue Musik tauchen unter: Mit ihrer Unterwassermusik im Dante-Bad begehen (und beschwimmen) die Musiker von Piano Possibile neue Wege.

 

Das Auge lässt sich gerne täuschen, das Ohr ohnehin. Weswegen man, obschon einigermaßen sicher auf einer Plattform vertäut, die Orientierung zu verlieren droht: die zarten, silbernen Töne da im Hintergrund – gehört das dazu oder tröpfelt da mal wieder silbern der Regen, einen Meter über unseren Köpfen?

Ein bisschen Verunsicherung gehört oft dazu, wenn man zu Piano Possibile pilgert. Mal liefern Philipp Kolb, Klaus Schedl und ihre Mitstreiter einen gewaltigen (und manchmal schmerzhaften) Diskurs über Fortschrittsglauben, paradiesische Urzustände und Zerstörung ab – wie kürzlich während der Biennale mit ihrem Auftakt-Akt zur „Amazonas“-Oper. Ein anderes Mal entführen sie ihre Zuhörer in den Wald; zu „Regen aus der Erde“, Theater, Musik und Performance in Sommernachtstraum-Atmosphäre.

Ein Käfig voller Fische: Im Aquarium sitzen diesmal eher die Zuschauer. Foto: Regine Heiland

Und diesmal? Diesmal ist es ins Freibad gegangen, zur vermutlich aufwendigsten aller Produktionen. Ärzte haben die Besucher empfangen, sie mit Fragen beunruhigt – ob’s man’s am Herzen hat, man unter Klaustrophobie leidet? Ich will’s eigentlich gar nicht wissen. Dann steckt man Pullover und Hose in einen Plastiksack und tauscht die Kleidung gegen einen Neopren-Anzug. Um die Ungewissheit zu steigern, folgt eine Unterweisung durch Tauchlehrer: Mundstück immer von rechts an den Mund. Was passiert, wenn man in der Hektik die Seiten verwechselt? Und Daumen nach oben heißt hier nicht bravo, sondern: Auftauchen! Auch ohne Kunststoff-Anzug würde man ins Schwitzen geraten.

 

Schließlich, nächtliches Dunkel hat sich aufs Dantebad gesenkt, wird die Gruppe ins Licht von Scheinwerfern geleitet. Am Becken werkeln Leute, schleppen Tauchflaschen, ja, so muss es kurz vor dem Untergang auf jener berüchtigten Bohrinsel zugegangen sein. Dann, endlich, nimmt man Platz auf einer Plattform im Wasser. Langsam senkt sie sich. Das kühle Wasser sickert durch den Taucheranzug, es geht tiefer, irgendwann ist man unten, in einer ganz eigenen Welt. Schnell gewöhnt man sich an Maske, Mundstück, Luftflasche. Ein Bleigürtel hält uns unter Wasser. Es kann beginnen, das magische, absurde Theater von Piano Possibile: Ein Mann im Frack schwebt vorbei, in der Hand einen Käfig mit – Goldfischen. Filmausschnitte werden an die Beckenwand projiziert, Stimmen, Klangcollagen und – man hätte es gewiss vermisst – ein „Ping“ wie aus dem Film „Das Boot“. Männer in dunklen Anzügen führen den Wischmopp, gießen einen Blumenstrauß, Plastikbällchen treiben an die Oberfläche. Irgendwie geht’s um Freiheitsentzug, um die Beengtheit einer Nass-Zelle. Man bemüht sich, dranzubleiben am Geschehen. Allein: Wir Menschenfische müssen atmen, ein und aus, und die surrealen Bilder des Theaters verschwinden immer wieder hinter den Blasenvorhängen, die aus der Maske quellen. Das stete „Zchhhhhhhhh - blubbbbbrodddelblubbb“ des Atmens übers Gerät erleichtert nicht grad das Zuhören.

Wenn Theatergäste baden gehen: Piano Possibile lädt immer wieder zu Grenzüberschreitungen ein. Foto: Regine Heiland

Schließlich tauchen wir wieder auf. Man bibbert, manch einer hat blaue Lippen. Immerhin, der Regen stört einen nicht, überhaupt nicht. Eilig strömen die Theatergäste den heißen Duschen entgegen. Um was es ging? Um, nun ja, Freiheitsentzug. War ja auch so angekündigt. Wie’s war? Ein wenig kühl, das schon, aber auch fremdartig und inspirierend. Ein, zwei Leute erkundigen sich nach Tauchkursen. Man ist, kurz gesagt, verzaubert. Und das ist nicht das Schlechteste, was man von Kunst behaupten kann.

 

Veröffentlicht am: 21.06.2010

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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