Unerträgliche Spannung in dynamischen Bildern: Retrospektive Akira Kurosawa im Filmmuseum München

von Clara Fiedler

Mit "Rashomon" gelang Kurosawa 1951 der Durchbruch. Foto: Filmmuseum München

Es ist völlig still. Ein junger Japaner steht vor einem Gemälde von Van Gogh. Die Kamera zoomt in das Bild, das eine Brücke zeigt. Und plötzlich wird das Gemalte zur seiner Realität. Der Mann fragt die Waschweiber am Fluss nach dem Maler, die Auskunft, die er bekommt, geht einher mit der Warnung, Van Gogh sei verrückt.

Es folgen Szenen, die in ihrer Unabgeschlossenheitverstörend sind. Der Mann bewegt sich durch die Bilder, irrt durch Skizzen, läuft durch graues Wüstland einer grellroten Sonne entgegen, ein düsterer Chopin legt sich schwer aufs Gemüt. Wir befinden uns in „Yume“. Einem Traum. Dem von Akira Kurosawa.

Fast wie eine Metapher klingt der Name des japanischen Regisseurs, der schon fast zur Legende hochstilisiert wird. Akira – „strahlend, hell“. Und Kurosawa – der „schwarze Sumpf“. Die tatsächliche Komplexität des Künstlers zeigt das Münchner Filmmuseum in einer Retrospektive, die kompletter nicht sein könnte. Anlass ist das 150-jährige Bestehen der deutsch-japanischen Freundschaft. Ausgehend von der Japan Foundation in Tokyo und ihrer deutschen Dependance, dem Japanischen Kulturinstitut in Köln wurden die 30 Filme Kurosawas zusammengestellt. München ist nur eine von neun deutschen Städten, die die Möglichkeit einer Begegnung damit bietet.

Das hiesige Museum für Filmkunst sticht dabei insofern hervor, als nicht nur das Gesamtwerk des Regisseurs gezeigt wird, sondern auch vier auf seinen Drehbüchern basierende Filme und Chris Markers Dokumentation „A.K.“, die während der Dreharbeiten zu „Ran“ entstand, und einem Kurosawa auch als Persönlichkeit näherbringt. Darüber hinaus wurden prominente Gäste wie Teruyo Nogami eingeladen, die Kurosawa seit „Rashomon“ als Script Supervisor begleitete.

„Wann sie kommt, ist noch nicht ganz festgelegt“, so Klaus Volkmer vom Filmmuseum München. „Sie wird in zwei Städten sein, darunter München, und sie ist schon ziemlich alt. Man sollte die Dame nicht zu sehr stressen.“ Das Münchner Filmmuseum trug ebenso maßgeblich zur Lizenzierung der Filme bei, erzählt Angela Ziegenbein vom Japanischen Kulturinstitut in Köln. Volkmer beschreibt den Verhandlungton mit den Japanern wie erwartet als „distanziert, sehr höflich“.

Er selbst freue sich darauf, „gute Filme auf großer Leinwand zu sehen“. „Die Leute haben nicht so das Bewusstsein für das Kino“, meint er. „Ich sehe mir Filme zu Studienzwecken auch auf DVD an, aber im Kino hat man nichts, was einen ablenken könnte. Man ist allein mit dem Film.“ Im Fall Kurosawa kann das beängstigend werden. Denn eines lehrt uns der 1998 in Tokyo verstorbene Künstler: Hinsehen.

Kurosawa wurde 1910 als jüngstes von acht Kindern einer mittelständischen Familie geboren. Sein Vater war beim Militär, die Mutter stammte aus einer Kaufmannsfamilie. Künstlerisch war sein engster Verbündeter wohl sein älterer Bruder Heigo, der – im Filmgeschäft weniger erfolgreich – 1933 Selbstmord beging. Erst nach Heigos Tod begann Kurosawa, der zunächst eine Karriere als Maler anstrebte, sich für die Filmkunst zu interessieren. Sein Durchbruch gelang ihm mit „Rashomon“, basierend auf einem Skript von Shinobu Hashimoto, der einen Mord mit anschließender Vergewaltigung aus verschiedenen Perspektiven zeigt und 1951 den Goldenen Löwen des „Venice Film Festivals“ gewann.

Sein Werk umfasst unter anderem Adaptionen von Shakespeare („Ran“, 1985) und Dostojevski („Hakuchi“, 1951). Dynamisch sind seine Bilder, seine Szenen, manchmal geht alles so schnell, und das, obwohl er damit seine Figuren immer wieder in die schlimmstmögliche Spielart des Stillstandes bringt: Die schier unerträgliche Spannung.

Und sind zum Beispiel diese vordergründigen Samurai-Epen nicht ein bisschen wie japanische Reiskuchen? Diese Süßigkeiten, mit ihrer sanften, milchig-weißen Oberfläche, die sich so weich anfasst, so undurchdringlich und makellos erscheint, und die, wenn man hineinbeißt, eine dunkle, süßliche, schwere Masse offenbart, die so schwer zu definieren ist. Ist es nicht gerade das strahlende Licht, hinter dem sich – so wie in „Die sieben Samurai“ – der manchmal schwarze Sumpf menschlicher Verworrenheit verbirgt?

Wie viele große Künstler bleibt Akira Kurosawa in vielen Punkten ein Rätsel.

Aber was wäre die Welt ohne Fragen?

 

Retrospektive Akira Kurosawa, 9. September – 18. Dezember 2011, Genauere Informationen zum Spielplan finden Sie unter http://www.stadtmuseum-online.de/aktuell/filmre.htm

Veröffentlicht am: 14.09.2011

Über den Autor

Clara Fiedler

Redakteurin

Clara Fiedler ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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