Fotografien von Boris Savelev - Russische Seele bleibt auch auf Aluminium warm

von Achim Manthey

Principe Pio, Madrid, 2008, (Foto: Boris Savelev, courtesy Galerie Clair)

In der bemerkenswerten Ausstellung "Memories" präsentiert die Galerie Clair Fotografien des russischen Fotokünstlers Boris Savelev. Sentimental, anrührend und dank modernster Reproduktionstechnik für die Ewigkeit gedacht.

Es hat schon sehr viel mit der berühmten russischen Seele zu tun, wenn Boris Savelev mit der Leica M3 durch seine Heimatstadt streift auf der Suche nach dem was geblieben und was vergangen ist. Das 1990 entstandene Foto mit dem Titel "Memory", das der Ausstellung den Namen gab, hat Symbolcharakter. Ein Blick aus dem geöffneten Fenster auf jemanden, der das Haus verlässt, um die Ecke biegt, verschwindet; um nach Jahren vielleicht zurückzukehren und anhand einzelner Szenen seine Vergangenheit findet. Ein Busfahrer, nur schemenhaft hinter einem Schutzvorgang erkennbar, "Lopatiuk", ein alter Barbierstuhl - das 1995 entstandene Foto ist eines der schönsten der Ausstellung -, der Teil eines roten Zuges und das 2010 entstandene Tryptychon "Czernowitz", mit dem die in der Ausstellung gezeigt Heimatreise schließt.

Lopatiuk, Czernowitz 1995 (Foto: Boris Savelev, courtesy Galerie Clair)

Boris Savelev zählt zu den bedeutensten lebenden Fotografen Russlands. 1947 in Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina in der heutigen Ukraine, aus der auch der Journalist und Autor Gregor von Rezzori stammte, geboren, wird bereits in den frühen 1960er Jahren sein Interesse an der Fotografie geweckt. Aber er lernt erst einmal etwas Gescheites, wird Ingenieur und arbeitet in der Luftfahrtindustrie. Wie das so ist, wenn man Neigungen unterdrückt: Lange hielt er es nicht aus. 1976 wendet er sich endgültig der Fotografie zu. Er geht nach Moskau, wird mit Boris Michailov bekannt, diesem frühen Extremisten der russischen Fotografie, der ihn stark beeinflusst. 1986, zu Beginn der Perestoika reiste Thomas Neurath, Direktor der Londoner Galerie Thames & Hudson auf der Suche nach "unangepassten" Künstlern nach Moskau und fand Savelev, dessen Reihe "Secret City" 1988 erstmals im Westen veröffentlicht wurde. Inzwischen ist derFotograf mit seinen Werken in international bedeutenden Sammlungen vertreten, darunter das MoMa in New York, die Corcoran Gallery in Washington, in Deutschland in der Staatsgalerie Stuttgart und dem Saarlandmuseum in Saarbrücken. Eines ist bis heute geblieben: Bessenheit, was die Qualität der Prints seiner Aufnahmen betrifft. Immer wieder unternimmt er Experimente mit alternativen Druckverfahren, dem C-Print, Dye Transfer Print oder dem Pigment Transfer Print, aber auch mit alten, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Techniken wie dem Gummibichromatverfahren und der Platino- und Kallitypie.

Red Train, Czernowitz 1989 (Foto: Boris Savelev, courtesy Galerie Clair)

Den Schwerpunkt der Münchner Ausstellung bilden 13 Fotografien, die in ganz besonderen Reproduktionen zu sehen sind. Auf Aluminiumplatten werden in mehreren Arbeitsschritten Gipsschichten aufgebracht, die getrocknet und dann händisch mit Schleifpapier geglättet werden. Maschinell  werden anschließend durch eine speziell für Boris Savelev entwickelte Druckerkonstruktion millimetergenau die Farbsegmente in mehreren Schichten aufgesprüht, bis das Bild zutage tritt. Das ist aufwändig und gelingt nicht immer beim ersten Versuch. "Es ist eine Art physisches Photoshop", erklärt der Drucker, der das System für Savelev entwickelt hat. "Wir können im Druckprozess korrigieren". Durch die Computersteuerung des Druckers lassen sich Ungenauigkeiten punktgenau beseitigen. Gerade dann, wenn Farbtöne nicht passen, ist Boris Savelev ganz penibel, erzählt der Drucker dem Kulturvollzug am Eröffnungsabend. Und gerade hier liegt die Faszination in dieser rein handwerklchen Zusammenarbeit mit dem Fotografen, der ohne Vorlagen, nur aus dem Gedächtnis die kleinsten Farbnuancen so trifft, wie er sie im Moment der Aufnahme gesehen hat. Zum Abschluss dieses Prozesses werden die Bilder mit einer feinen Wachsschicht überzogen und poliert. Die so entstandenen Prints halten für die Ewigkeit, meint der Handwerker. Es entstehen Bilder von wunderbarer Schärfe, Klarheit, Tiefe und mit Effekten, wie sie auf Bütten nicht erreichbar wären.

Die Technik kommt den Arbeiten Savelev's entgegen. Er spielt in seinen Fotografien sehr stark mit Licht und Schatten. Spots fallen in völlige Dunkelheit einer Umgebung, die nur bei näherer Betrachtung sichtbar wird, wie auf dem 2008 in Madrid entstandenen Foto "Principe Pio". Das Bild scheint zu leben, den je nach Einfall und Intensität der Anleuchtung verändert sich das Foto. Licht wird nur durch Licht Licht. Auch "Lopatiuk", 1995 in Czernowitz aufgenommen, nutzt diese Effekte.

Tram Conductor, Leningrad 1979 (Foto: Boris Savelev, courtesy Galerie Clair)

Ein Mädchen telefoniert an einem öffentlichen Apparat, auf sie strebt ein Soldat zu in der Moskauer Metro. Das 1990 entstandene Foto erinnert in der Reproduktion und mit gehörigem räumlichen Abstand des Betrachters Abstandan niederländische Malerei. Ebenso die 1988 entstandene Rückenansicht "Lena", der Ehefrau des Künstlers. Wäre Vermeer Fotograf gewesen, er hätte esnicht anders gemacht.

In einem kleinen Teil der Ausstellung sind frühe Arbeiten des Fotografen in schwarz-weiß zu sehen, die nicht weniger beeindrucken und zeigen, woher der Fotograf kommt. Es sind Momentaufnahmen, wie die Trambahnschaffnerin, lachend und auf dem Absprung, um mit dem Hebel, den sie in der Hand hält, die nächste Weiche zu stellen. Die ernste Schöne in der Metro, der sofort zu verfallen jedenfalls der männliche Betrachter gar keine andere Möglichkeit hat. Technik pur ist auf dem 1978 entstandenen Foto von der mächtigen Dampflokomotive "Alexandrov" zu sehen, die zur großen Fahrt mit Kohle beschickt wird.

Das ist in der Ausstellung alles großartig anzuschauen, erstaunt, macht Spaß. Die Ausleuchtung mit teilweise durch milchige Folien abgeblendete Spots bringt die Bilder besonders gut zur Geltung. Fällt allerdings die richtige Beleuchtung weg, versinken die technisch aufgemotzten Farbfotografien in der Bedeutungslosigkeit. Das ist ihr Problem und man geht dann doch gern zurück auf die klassischen Papier-Prints, die zwar statisch, aber unabhängig sind von externen Lichtspielereien.

Bis zum 3. Dezember 2011 in der Galerie Clair, Franz-Joseph-Str. 10 in München, Mi-Sa 15-19 Uhr. Freier Eintritt.

 

Veröffentlicht am: 28.10.2011

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