Zwischen Poesie und Brutalität - Im Angesicht des Verbrechens

von kulturvollzug

Versklavte Prostituierte, russische Killer, gierige Drogenbarone und korrupte Polizisten - es brodelt unter der Oberfläche des Schmelztiegels Berlin. Die zehnteilige TV-Serie von Autor Rolf Basedow und Regisseur Dominik Graf ist ein gewagter und bildgewaltiger Blick auf die russische Mafia in der Hauptstadt. Der Zuschauer wird mitten hinein katapultiert in eine ihm unbekannte Welt. Und die zieht ihn sofort in den Bann. Auf der Berlinale wurde der zehnteilige Polizeithriller „Im Angesicht des Verbrechens“ mit Begeisterungsstürmen gefeiert. Jetzt ist das Serien-Epos endlich im Ersten angekommen.

Im Mittelpunkt steht der junge Polizist Marek Gorsky (Max Riemelt), Sohn jüdisch-baltischer Einwanderer. Seine Schwester (Marie Bäumer) ist mit einem Russen verheiratet, der nicht nur das Nobelrestaurant besitzt, in der sich die Mafia allabendlich trifft. Ihr Mann Mischa (Misel Maticevic) gehört ihr selbst an. Gemeinsam mit seinem Kollegen Sven (Ronald Zehrfeld) soll Marek Verbrechern der organisierten Kriminalität das Handwerk legen. Ein Kampf, der für ihn immer mehr zu einer Suche nach dem Mörder seines eigenen Bruders Grischa wird. Und dann ist da noch die schöne Ukrainerin Jelena (Alina Levshin), die statt der erhofften deutschen Annehmlichkeiten eklige, fette Freier vorgesetzt bekommt.

„Im Angesicht des Verbrechens“ ist ein Mammutwerk geworden, acht Millionen Euro haben die 500 Sendeminuten verschlungen. Die Produktionskosten sind explodiert, auch weil das Gewerbeaufsichtsamt nicht tolerierte, dass Graf Tag und Nacht drehte. Zusätzliche Drehtage mussten her, 130 waren es insgesamt. Am Ende meldete die Produktionsfirma Typhoon sogar Insolvenz an. Graf ist ein Regisseur, der nicht nur von sich alles fordert. Er macht keine Kompromisse, wenn es um die Verwirklichung seiner Visionen geht.

Wie dekadent, gewalttätig, aber auch sexy und vital sich Basedow und er das Milieu der Russenmafia vorstellen, deuteten sie schon in ihrem Film „Hotte im Paradies“ (2003) an. Ihre Figuren – ob Mafiosi oder Polizisten - sind besessen vom Leben. Gut und Böse, Brutalität und Poesie, Liebe und Hass – all das liegt bei Basedow und Graf ganz nah bei einander. „Im Angesicht des Verbrechens“ ist knallharter Thriller und schillerndes Märchen zugleich. Ein Märchen aber, das Realität zeigen will. Jahrelang hat Basedow recherchiert. „Ich habe Gespräche mit Banditen und Polizisten geführt, Reisen in den Osten gemacht und mich umgesehen und gehört, war soweit es ging nahe bei den Menschen, in den Familien, bei den Festen“, erzählt er.

Lange hat die ARD einen Sendeplatz für diesen Ausnahme-Krimi, der gerade beim Deutschen Fernsehpreis zwei Auszeichnungen abgeräumt hat, gesucht. Seinem Serienpublikum am Dienstagabend traute man das Epos mit seinen drastischen Bildern, rasanten Szenenwechseln und viel russischem Originalton nicht zu. Jetzt kommt es freitags direkt nach den Degeto-Schnulzen, wo sonst „Tatort“-Wiederholungen laufen. Programmdirektor Volker Herres spricht von einer „interessanten Bereicherung auf diesem Sendeplatz“. Er war sich sicher: „‚Im Angesicht des Verbrechens’ wird dort sein Publikum finden.“ Schon, aber das bestand aus wenig mehr als zwei Millionen Menschen für die ersten beiden Folgen vergangene Woche. Gerade einmal 500.000 waren es in der jungen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. Was die jungen Menschen wohl machen am Freitagabend, Herr Herres?

Angelika Kahl

Veröffentlicht am: 29.10.2010

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