Ulrich Buchner durchleuchtet seine Wissenschaft: Woran die Psychotherapie krankt

von Florian Haamann

Nur einsam? Doch krank? Oder, sogar: Irre? In der Psychotherapie sind die Grenzen mindestens so fließend wie in der Kunst. Foto: gr.

Wie unterscheidet sich ein Psychiater vom Psychoanalytiker, vom Psychologen? Und was ist eigentlich ein Coach? Warum dürfen die einen über die Krankenkasse abrechnen, die anderen nicht, und warum ist es manchmal besser, gleich alles privat zu zahlen, auch wenn man nicht müsste? Und natürlich: Wie finde ich den richtigen Therapeuten und die richtige Therapie? Ein Münchner Diplompsychologe hat darüber ein Buch geschrieben.

Es sind Fragen, die sich jeder, der psychisch erkrankt ist, stellen muss, und die sich jeder Gesunde durchaus schon mal stellen kann, denn Berührungspunkte mit den Seelenheilern haben alle.

Anders als der reißerische Titel "Wenn Irre Irrenärzte werden - Hinter den Kulissen der Psychotherapie" vermuten lässt, geht es dem Autor allerdings weniger darum zu zeigen, dass unsere Psychiater einen Schaden haben, den sie an ihre Klienten weitergeben. Vielmehr will er verdeutlichen, dass etwas in unserem Gesundheitssystem nicht stimmen kann, wenn Therapeuten aus einem Burn-Out eine Depression machen müssen, um über die Kasse abrechnen zu können. Oder wenn Sitzungen zwanghaft in 50-Minuten-Zyklen stattfinden, anstatt an die Bedürfnisse der Klienten angepasst zu werden.

Buchner macht klar, warum das Verhältnis zwischen Klient und Therapeut das Wichtigste für eine erfolgreiche Therapie ist und schildert, wie schlechte Therapeuten von Anfang an ein Herr-Knecht-Verhältnis aufbauen, das einen möglichen Erfolg schon im Keim erstickt.

Seine Kernthese lautet: Das Übel der Psychotherapie liegt darin, dass der Mensch nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern zum Objekt gemacht wird. Dass er nicht mehr Namen und Gesicht hat, sondern der Depressive, der Schizophrene, der Manische ist – oder was das Klassifizierungssystem IDC-10, nach dem Psychologen ihre Diagnose stellen, eben sonst so hergibt.

Einleitend gibt der Autor einen Abriss über die Entstehung der Psychotherapie: Von Sigmund Freud über C. G. Jung bis hin zu Jean-Paul Sartre. Selbst wer sich schon mit dem Thema beschäftigt hat, kann bei Buchner noch Neues entdecken – oder kannten sie Wilhelm Reichs Orgasmustherapie?

Das Buch-Cover.

Das letzte Drittel des Buches beschäftigt sich mit der Frage, wie Menschen es durch ein bewussteres Leben vermeiden können, überhaupt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Es ist ein sehr persönlicher Ratgeber des Autors, der von psychologischen Techniken wie dem „Psychischen Hausputz“ bis hin zu einfachen Weisheiten – sich öfter einmal selbst loben – alles anbietet.

„Wenn Irre Irrenärzte werden“ gibt einen soliden Überblick über das Thema Psychotherapie, spricht zugleich Probleme unseres Gesundheitssystems, unserer Gesellschaft und der Therapeuten an. Dabei verfluchtet der Autor nie die Psychotherapie an sich, sondern die Auswüchse im realen Psycho-Geschäft, wie falsche Schwerpunkt-Setzungen. Eine lesenswerte Lektüre für alle, die sich dem Thema Psychotherapie unaufgeregt nähern wollen oder müssen.

„Wenn Irre Irrenärzte werden“ von Ulrich Buchner ist im Gütersloher Verlagshaus erschienen und kostet broschiert 16,99€, als E-Book 13,99€.

Veröffentlicht am: 14.02.2012

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