München 72 (Folge 1)

Gold für die Kultur - Der nicht ganz gelungene Versuch, die künstlerische Welt zu bündeln

von kulturvollzug

Das Architektenteam unter Günter Behnisch und der Landschaftsgestalter Günther Grizimek schufen eine Kulturlandschaft (Foto: Achim Manthey)

Nicht weniger als „die Darbietung der gesamten künstlerischen Substanz“ des Volkes und der Stadt verhieß das Organisationskomitee zu den Olympischen Spielen – den Hunderttausenden von Gästen ebenso wie den Bewohnern der Region selbst. Nicht nur als Metropole der Muskeln, sondern auch der Musen wollte sich München ein Jahr lang der Welt öffnen. Dementsprechend umfangreich und vielfältig war das offizielle Kulturprogramm mit rund tausend Präsentationen und begleitenden Publikationen aus allen Bereichen des kulturellen Lebens. Daneben gab es noch viele andere, oft improvisierte Veranstaltungen. So wäre 1972 ein Goldenes Jahr für die Kulturstadt München geworden – wenn nicht im Oktober darauf die kommunale Kulturpolitik kollabiert wäre.

Die großartige „Kunst- und Kulturolympiade“ war jetzt, 40 Jahre danach, Thema eines Werkstattgesprächs im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der Nemetschek-Stiftung, die München 72  in Bild, Film, Diskussion, Ausstellung, Buch und Führungen  als „Trainingsplatz einer Demokratie“ in Erinnerung rief.

Das damalige Geschehen, so die rückblickende, weit gehende Analyse von drei Experten, war ein kühner Versuch, die brüchig gewordene Welt der Künste und der Gesellschaft zu bündeln und nicht etwa nur an den Rand, sondern ins Zentrum eines sportlichen Weltfestes zu rücken. Ob dies freilich so heiter, unpathetisch, unpolitisch, völkerverbindend gelungen war, wie es die Idee der Münchner Spiele gebot, bleibt die Frage. Denn nicht alle Projekte wurden realisiert – und am Ende wurde die ganze schöne Utopie in einem Blutbad ertränkt.

Von den markanten Farbgebungen, die Otl Aicher kreierte, ist heute nur noch wenig zu sehen (Foto: Achim Manthey)

Schon die Optik hat die Münchner Spiele von allen früheren unterschieden. Maßgebend dafür war – neben dem Baugestalter Günter Behnisch und dem Landschaftsgestalter Günther Grzimek – der visuelle Gestalter Otl Aicher. Ihn hob jetzt die Kunstkritikerin Ksenija Protic vom Arbeitskreis Olympia des Münchner Forums als eigentlichen Macher der „Kulturolympiade“ hervor.  Als Gründer der Ulmer Hochschule für Gestaltung schuf Aicher mit seiner extra für Olympia ausgewählten Mannschaft ein Erscheinungsbild, das aus drei Komponenten bestand: Farbe, Schrift und Zeichen. Die Farben waren pastell- und regenbogenartig, hell und leuchtend. Die Schriften waren flott wie ein Allegro, die Piktogramme genannten Zeichen klar, einfach, weltweit verständlich (sie werden heute noch oft verwendet).

Allerdings konnte der Versuch, frei schwebende künstlerische Vorstellungen konkret in ein so prägnantes Konzept einzubringen, höchstens ansatzweise gelingen. So ist kaum einer der 35 Entwürfe aus aller Welt zur Gestaltung des Ambiente, die ein von Gunter Sachs initiiertes, provisorisches „Modern Art Museum“ vorstellte, letztlich ausgeführt worden. Schöne Ideen schwirrten da wie Schmetterlinge, ohne Gefallen zu finden beim Organisationskomitee: bunte Fahnenreihen, Wasserfontänen, farbige Bänder, Fackeln, elektronische Lichtbänder, gasgefüllte Luftballons, rote Neonröhren, Windmühlen oder die Großplastik des Schwabinger Künstlers Jürgen Claus.

Neue Strömungen der Kunst wie Land Art und Conceptual Art mussten wohl in einer traditionell konservativen Stadt als eher anarchistisch oder utopisch empfunden werden, resümierte der Kunsthistoriker  Professor Laszlo Glozer. Er zeigte dies, auch mit Modellskizzen, am Beispiel eines Projekts, für das er sich damals als Kunstkritiker der „Süddeutschen Zeitung“ vehement, aber erfolglos eingesetzt hatte.

Der bereits namhafte amerikanische Künstler Walther de Maria wollte ein 120 Meter tiefes Loch in den Olympiaberg bohren und durch eine Bronzeplatte abdecken, so dass der Raumschacht ein bloßes „Denkmodell“ geworden wäre, eine Art Diskussionsgrundlage für Daraufstehende.Tatsächlich rief das Loch über Monate hin heftigste Diskussionen hervor unter der olympischen Führung, der Bevölkerung und der internationalen Kunstwelt. Die Kosten wurden einschließlich des Künstlerhonorars auf 1,1 Millionen Mark kalkuliert. Immerhin standen für Kunst am Bau acht Millionen Mark zur Verfügung. Im November 1971 teilte Olympiabaupräsident Carl Mertz mit: „Die Schuttröhre wird nicht ausgeführt.“ Man würde sonst mit allen Tiefbauproblemen in Konflikt kommen. Statt der „Erdskulptur“ und der schon zuvor abgelehnten Betonpyramiden des Deutsch-Mexikaners Goertz beschlossen die elf Politiker, Beamten und Sportfunktionäre des Ausschusses eine Reihe von kleineren Kunstwerken im Bereich der Sportstätten.

„Vielleicht wird dieses große Projekt ja doch noch einmal realisiert,“ hofft die Kunsthistorikerin Protic. Immerhin hat die Kunst des Walter de Maria längst viele Standorte gefunden: In Kassel wurde anlässlich einer Documenta ein dem Münchner Modell entsprechender Metallstab in den Boden versenkt. In Traunreut hat der Galerist Heiner Friedrich dem Künstler, den er damals entdeckt hatte, in seinem Museum Maximum einen großen Raum eingerichtet. Und in München wurde ein Stück der ehemaligen Türkenkaserne mit einer von ihm geschaffenen Großkugel bestückt.

Sport in der Kunst

Trotz des Hindernislaufs, bei dem die Avantgarde als letzter Teilnehmer ins Ziel ging, waren die Bildenden Künste mit einer starken Mannschaft durchaus erfolgreich in der 72er-Kulturolympiade. Am 1. August wurde in der Fußgängerzone von Olympia-Präsident Willi Daume und Bürgermeister Helmut Gittel die erste Münchner Straßenkunstausstellung volksnah und fröhlich eröffnet. Sie hieß „Sport in der Kunst“ und blieb dann die einzige Ausstellung dieses Sommers, die thematisch in unmittelbarem Zusammenhang mit den Spielen stand.

Viel wurde nicht verwirklicht von den hochtrabende Kunstplänen. "Olympia Triumphans" des Bildhauers Martin Mayer steht bis heute (Foto: Achim Manthey)

Zu allen Zeiten gab es große Kunst, die sich dem „spielerischen Bewegungsdrang der Menschheit“ (Gittel) gewidmet hat. Das bezeugten die 48 großen Bildtafeln, die ein Münchner Kunstbuchverlag nach Originalen kopiert, in sechs Sprachen betextet und hinter dem Rathaus aufstellte. Drei Hauptepochen von künstlerischem Sportverständnis waren dabei klar unterschieden: die Antike mit ihrem idealen Menschenbild, das Mittelalter mit seiner erzählenden Darstellung, mit der die spätere Sportreportage vorweggenommen wurde, und schließlich die Moderne, die den Sport weitgehend verfremdet und den bloßen Bericht der Fotografie überlässt.

Viele der auf alten Dokumenten dargestellten Sportarten haben die Zeiten bis zur Neuauflage der Olympiade nicht überdauert. Da gab es etwa – eine Wandmalerei aus dem Palast von Knossos zeigt es – den „Stierspringer“, und im alten Olympia maßen sich die Männer im „Allkampf“ (Pankration), bei dem alle Griffe bis zum Knochenbrechen erlaubt waren. Aus dem Mittelalter berichteten Künstler von Balkenwerfern, Ochsenreitern, Preiskletterern und Fischerstechern. In der Neuzeit setzten sich, beispielsweise, Beckmann mit Rugbyspielern, Feininger mit Radrennfahrern und Kirchner mit Eishockeyspielern auseinander.

Bei der Eröffnung der Freilichtausstellung versuchten sich einige Sportler unter den Klängen der „Ballhouse Jazzband“ in aller Öffentlichkeit an der Leinwand. Während die Degenfechterin Hedi Grundmann in abstrakten Pastellfarben schwelgte, zeichnete der kanadische Eiskunstläufer Toller Cranston, der offenbar nicht nur etwas von „Eiskunst“ versteht, eine schöne Jugendstildame, und der Judokämpfer Paul Barth brachte zwei bullig-bunte Schlittschuhläufer aufs Blatt. „Das ist die Sportart,“ erklärte er den Umstehenden, „die am leichtesten zu malen ist.“ Hatten es doch schon die alten Niederländern ganz besonders mit den Eisläufern.

An einige andere Kultur-Ereignisse der Olympischen Sommerspiele 1972 erinnern wir in drei weiteren Folgen, die sich im wesentlichen auf damalige Zeitungsberichte des Autors stützen.

Karl Stankiewitz

(Karl Stankiewitz bringt demnächst im Volk Verlag ein Buch zur Münchner Kunstszene seit 1945 heraus („Die  befreite Muse“), das auch Ereignisse von 1972 beschreibt).

Veröffentlicht am: 06.08.2012

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