Faustmarathon in der Reithalle

Im Jagdgalopp durch das Faust-Doppelpack

von Gabriella Lorenz

Subtiler Witz und Spiellust sorgen für einen überzeugenden Abend. Foto: Bonnie Tillemann

Ach, wie viele „Fäuste“ haben wir schon gesehen! Aber fast immer nur Teil I mit der Gretchen-Tragödie. An Goethes komplettes Monumentalwerk „Faust I  und II“ im Doppelpack wagt sich kaum einer. Peter Stein legte im Jahr 2000 mit seiner ungekürzten Mammut-Inszenierung die Rekordlatte auf 20 Stunden Spieldauer. Nicolas Stemann brachte es letztes Jahr immerhin auf acht Stunden. Dass es auch in gut zweieinhalb Stunden (inklusive Pause) geht, beweist der Regisseur Ioan C. Toma mit seiner freien Produktion „Faust, die Frauen und das Wasser“ in der Reithalle.

Das ist natürlich ein Schnellgalopp, vor allem durch den unendlich ausufernden zweiten Teil. Aber das Verblüffende ist: Das Konzept geht auf, Tomas Fassung erzählt stringent alles Wichtige, die Inszenierung lebt von subtilem Witz und der Spiellust der nur vier Schauspieler. Und Gerd Lohmeyers abgeklärt-komischer Gentleman-Mephisto ist eine Sonderklasse für sich.

Frauen und Wasser stehen für Ioan C. Toma für die Fruchtbarkeit der Welt, die der Macho Faust zerstört. Das junge Gretchen bringt er samt Familie um, die schöne Helena domestiziert er zur Hausfrau und entwertet sie damit als mythisches Idol. Und das Meer will er mit Dammbauten einfach verdrängen, genauso wie das alte Paar Philemon und Baucis, das seinem Herrschaftsanspruch im Wege steht. Am Ende hinterlässt er überall nur verbrannte Erde.

Tomas Bühne ist ein schwarzes leeres Spielgerüst mit einem großen feuerroten Tuch als Vorhang, der nach Bedarf  umgehängt wird.  Davor steht eine Badewanne mit Wasser. Darin wird Faust verjüngt, da landen die Kinder von Gretchen und Helena, ehe sie schließlich zu Fausts Grab wird.

Die wirkungsvolle Einfachheit der szenischen Mittel erstaunt immer wieder, und Bonnie Tillemanns fantasievolle Kostüme erlauben den Schauspielern rasend schnelle Umzüge. Alle vier glänzen: Ina Meling  ist ein bewegendes Gretchen und eine frivol-glamouröse Helena, Ferdinand Schmidt-Modrow wirft sich mit Verve in alle kleinen Rollen wie Valentin, Kaiser, Hexe oder Engel. Johannes Schön spielt einen vor allem im Liebesfuror aufbrausenden jugendlichen Faust, der immer machtgieriger wird. Mephisto hat mit seinen unersättlichen Wünschen mehr Arbeit als mit der anfänglichen Verführung. Gerd Lohmeyer gibt einen sarkastischen, doch zutiefst menschlichen weisen Teufels-Narren: Er lässt das Pferd, auf das er gewettet hat, rennen und greift nur notfalls als Strippenzieher in die Zügel. Aber am Ende muss er, von Gott betrogen, resignieren: „Bei wem soll ich mich jetzt beklagen?“ Lohmeyers diskrete, trockene Komödiantik macht seinen Mephisto zum Sympathieträger dieser frischen, überzeugenden Aufführung.

18., 20., 22. - 24. Mai, 20 Uhr, Tel. 1216 2370

Veröffentlicht am: 17.05.2012

Über den Autor

Gabriella Lorenz

Gabriella Lorenz ist seit 2010 Mitarbeiterin des Kulturvollzug.

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