Homburg ohne Traum

Willst du Mensch sein oder Soldat?

von Florian Haamann

Mit Springerstiefeln und Epauletten marschiert und streitet der preußische Chor. Foto: Jürgen Kolb

Erst gewinnt der Prinz für seinen König eine Schlacht, dann verliert er dafür sein Leben. Eine Inszenierung an den Kammerspielen zeigt spielerisch den unlösbaren Konflikt zwischen Gefühl und Gehorsam.

Im militärischen Gleichklang bleut - nein brüllt - es der Militärchor dem Prinzen vom Homburg ein: Nicht vor dem Signal angreifen! Nicht vor dem Signal angreifen! Nicht vor dem Signal angreifen!!! Verstanden also? Die Schlacht beginnt, Homburg lässt seine Soldaten losstürmen Einer der Offiziere (Konstantin Bez) versucht noch, ihn von diesem fatalen Schritt abzuhalten. Doch statt zu hören, zieht Homburg, gespielt von Anna Drexler, ihn ganz nah an sich heran, öffnet den Knopf seiner Hose, widmet sich dann mit einem tiefen Blick in seine Augen ausführlich dem Reißverschluss und zieht ihm - kurz bevor man glaubt, dass da gleich etwas Erotisches passieren muss - die Hose runter und lässt ihn sich in den Staub werfen. Die Spannung, die in dieser Szene entsteht, lässt die Zuschauer die Luft anhalten. Es ist so still und die Szene läuft so langsam, dass man jeden Zahn des Reißverschlusses knacken hört. Die Schauspieler zelebrieren diesen Moment, zeigen ein scharf herausgearbeitetes Machtspiel - ein Genuss.

Ungehorsam lohnt sich nicht. Das erfährt erst einer von Homburgs Soldaten, dann Homburg selbst. Foto: Jürgen Kolb

Nach der gewonnen Schlacht feiert sich Homburg mit einem Konfettiregen aus der Einweg-Kanone selbst, dann ist der Spaß mit einem Schlag vorbei. Der große Kurfürst ist außer sich wegen des missachteten Befehls, die militärischen Gesetze kennen dafür nur eine Strafe: den Tod. Bisher von einem grauen Plastikbrustpanzer geschützt steht Homburg nun obenrum entblößt auf der Bühne und versteht die Welt nicht mehr: immerhin hat sein Eingreifen die Schlacht entschieden.

In seiner Regieübung für die Otto-Falckenberg-Schule zerlegt Regisseur Florian Fischer Kleists Text, streicht radikal überflüssigen Ballast und konzentriert sich auf den Konflikt Gefühl gegen Gehorsam, Mensch gegen Soldat. In gut 60 Minuten entsteht so eine feine Skizze, in der Homburg und der Kurfürst zwischen den Polen hin und her schwanken, fast fallen - und am Ende doch entschlossen handeln. Denn anders als bei Kleist, der Homburg am Ende begnadigt und völlig haltlos zurück in die Welt wirft, hat Fischer Mitleid mit seinem Gequälten und gönnt ihm den Tod - den Gesetzen ist genüge getan. Reduziert sind auch die Kostüme (Pia Richter): Die Militärs tragen T-Shirts mit Epauletten und dreckige Springerstiefel, die jedem preußischen Offizier ein Graus gewesen wären, Homburg einen rosé-farbenen Rock und grauen Brustpanzer. Anfangs weiß er damit nicht viel anzufangen, betastet ihn ausführlich wie einen Fremdkörper. Je mehr er sich daran gewöhnt, desto größer wird sein Selbstvertrauen, das seinen Höhepunkt in der beschriebenen Machtdemonstration findet.

Vier Schauspieler bilden bei Fischer den Chor, aus dem immer wieder freestyle-artig einer heraustritt, um eine Rolle zu übernehmen. Ansonsten marschieren sie im Gleichschritt zu preußischen Militärmärschen über die Bühne, im Rausch streckt einer von ihnen den rechten Arm zum Gruß. Quasi als Gruß an eine Zukunft, in der der Militarismus brutaler und totalitärer sein wird, als es sich die Preußenkönige je hätten vorstellen können.

Der Prinz von Homburg opfert dem Militär Liebe und Leben. Foto: Jürgen Kolb

Bemerkenswert das Duell zwischen dem Kurfürsten (Bastian Beyer) und Kottwitz (Moritz von Treuenfels), der Homburg verteidigt. Treuenfels, zuvor noch Teil eines von drei Schauspielern gespielten Kurfürsten, tritt wie ein Über-Ich aus der Formation heraus und stellt sich Beyer gegenüber, der auf einmal alleine da steht. Nach dem kottwitzschen Plädoyer für den Prinzen, tobt der Kurfürst ob dieses Verrats hitleresk über die Bühne, so lange, bis er selbst über die Wucht seiner Wutrede erschrickt.

Zärtlich dagegen spielt Lukas von der Lühe Natalie, Homburgs Geliebte. Verzweifelt bittet er den Kurfürsten um Homburgs Leben. Während er auf die Entscheidung wartet, bietet er den Zuschauern ein pantomimisches Zwischenspiel: ein Telefonat mit dem gefangenen Prinzen, drei nervös gerauchte Zigaretten und eine hektisch durchgeblätterte Zeitung, alles nur angedeutet und dennoch zwei Minuten voller Verzweiflung und Bangen, so leicht gespielt, dass es dafür einige Lacher gibt. So geht es Schlag auf Schlag, bis Homburg tot am Boden liegt, das Licht angeht und die Schauspieler verschwinden.

Begeistert von diesem Theaterabend verlässt man den Probenraum im Keller der Kammerspiele, bis plötzlich ein Gedanke dieses Erlebnis trübt: Warum sieht man solch schnelles, klares und trotzdem liebevolles Theater in München eigentlich nur unter der Erde und nicht auf den großen Bühnen?

 

Trauriges Ende für Homburg: Plastiktüte statt Gewehrkugeln. Foto: Jürgen Kolb

Veröffentlicht am: 30.01.2013

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