Interview mit der Liedermacherin Anna Depenbusch

"Sich dem Leben und den Menschen hinzugeben, dazu gehört echt Mut"

von kulturvollzug

Gesehen in Paris (Foto: Maison Heinrich Heine)

Mit ihrem neuen Album „Sommer aus Papier“ beschwört die Liedermacherin Anna Depenbusch den Sommer. Nach regnerischen Zeiten hat man das nicht nur in Deutschland nötig. Im Rahmen des Festivals der Cité internationale Universitaire de Paris, bei dem vor kurzem mehr als 25 Nationen ein aufwändiges Kulturprogramm auf die Beine stellten, war das Konzert der Hamburgerin der Höhepunkt des deutschen Beitrags. Kerzengerade, mit Bibliothekarinnenmiene sitzt Anna Depenbusch am Flügel und singt vom Leben, der Liebe und – "Gelegenheitsficks". Der Kulturvollzug traf sie vor ihrem kommenden Auftritt in Bayern in der französischen Hauptstadt.

Frau Depenbusch, hier in Paris liegt die Frage nah: In ihrem Lied "Zimmer #439" auf ihrem neuen Album zitieren Sie Edith Piafs berühmtes „Je ne regrette rien“ – was bedeuten Ihnen die Piaf und die französische Chanson-Tradition?

Ich bin ein echter Fan von Edith Piaf. Wie sie ganz schlicht auf die Bühne geht und dann eine solche Dynamik in ihrem Gesang entwickelt finde ich toll. Diese Leidenschaft, diese Dynamik versuche ich auch in meiner Musik auszudrücken, auch wenn ich die Piaf natürlich nicht kopieren will. Ich versuche schon, etwas zu finden, das in die Jetztzeit passt, aber ich finde es toll, so ein bisschen den Hut zu ziehen, gegenüber damals.

Sie haben 2012 den Fred-Jay-Preis für deutschsprachige Liedtexte und den deutschen Chanson-Preis gewonnen – und spätestens mit ihrem zweiten Album „Die Mathematik der Anna Depenbusch“ haben sie sich als Komponistin und Sängerin deutschsprachiger Lieder etabliert. Können sie mit der Bezeichnung Liedermacherin für sich etwas anfangen?

Auf jeden Fall. Ich mache Lieder, also bin ich eine Liedermacherin. Ich habe auch den Eindruck, dass im Moment eine Reihe von Künstlern auf der Bildfläche erscheinen, die den Begriff Liedermacher erneuern. Der Begriff wirkt noch ein bisschen verstaubt – man denkt vielleicht an Konstantin Wecker oder Wolf Bierman - aber ich finde, es ist jetzt an der Zeit, das zu modernisieren. Leute wie Philipp Poisel sind für mich Liedermacher, die moderne Themen anpacken.

Viele aus der jungen Künstlergeneration tun sich selbst oft schwer mit dem Begriff Liedermacher.

Was ist denn die Alternative? Ich verstehe das nicht, warum man sich da so sträubt. Auf Deutsch für ein deutschsprachiges Publikum zu singen, ist doch eine ganz bewusste Entscheidung, mit der man in einer Tradition steht, die nicht die des amerikanischen Singer-/Songwriters ist, auch wenn es Ähnlichkeiten gibt. Für mich heißt Liedermacherin zu sein, eigene Geschichten und Beobachtungen auf der Bühne zu erzählen – ich finde das ist ein schöner Begriff.

Während viele Liedermacher der älteren Generation in ihrer Musik immer auch ihre politischen Anliegen zur Sprache brachten, steht bei ihren jungen Kollegen wie Philipp Poisel und Max Prosa die private Gefühlswelt im Vordergrund. Woran liegt diese Perspektivenverschiebung?

Das kann ich nicht sagen. Ich zähle ja selber auch zu denen, die über private Gefühle und Empfindungen singen. Wenn jemand mir sagen würde, mach doch mal was Politisches, dann würde ich sagen: Nee – das kann jemand Anderes besser als ich. Trends wie Facebook, bei denen es darum geht, sich selbst zu inszenieren, sich zu sagen: Mein persönliches Leben ist wichtig, ich möchte davon berichten, sind aber natürlich eine Tendenz, die eine Rolle spielen könnten. Ich persönlich mache Musik aus dem Bauchgefühl heraus, weil ich das Bedürfnis habe, Songs zu schreiben, und nicht, weil mich da etwas Größeres leitet.

Wenn sie in ihrem Lied "Astronaut" die Zeile singen: „(…) Und wenn das hier alles heut Nacht explodiert, hast du doch nie wirklich riskiert - irgendwas zu verlieren – irgendwen zu verlieren (…)“, dann schleicht sich bei diesem bedrückenden Text ein feines Lächeln in ihre Mundwinkel. Was ist das für ein Gesichtsausdruck in solchen Momenten?

Es ist ja so, dass ich das Lied über jemanden geschrieben habe, den ich kenne. Ich beschreibe dort eine Person, die oben im Weltall herumschwirrt, beste Aussicht hat und denkt, er ist der Chef von allem und ist mit nichts verbunden. Und er bemerkt wahrscheinlich noch nicht mal selbst, wie wenig er dort oben riskiert hat und was er für ein Feigling ist. Ich merke aber auch, dass dieses Lied ganz viel mit mir selbst zu tun hat. Sich zu öffnen, sich dem Leben und den Menschen hinzugeben, dazu gehört echt Mut. Das traut sich nicht jeder. Ich glaube, daher kommt dieses Lächeln – dass ich in diesem Moment auch mir selbst sage: Komm', jetzt riskier was, du willst nicht diejenige sein, die am Ende sagt, eigentlich habe ich nichts riskiert.

In ihrem Lied „Benjamin“ trällern sie anfangs in der üblichen Beziehungsrhetorik los: „Erst waren wir verliebt und dann doch nicht mehr“ -  um das Lied dann in einen gesungenen Orgasmus zu überführen. Auch im Liebeslied "Tim liebt Tina" geht es heiter-naiv los und dann kommt plötzlich die Zeile: „Ron ist schlau, er nimmt Ronja zur Frau und Sonja als Gelegenheitsfick.“ Was bedeuten ihnen diese Brüche in ihren Liedern?

Ich will die Leute überraschen. Jeder kennt doch die Situation: Im Hotel wird nebenan gevögelt und irgendwie ist es einem unangenehm. Ich finde es toll, wenn ich das dann auf der Bühne bringe und aus dem Publikum kommt eine Reaktion, so nach dem Motto: Das hat sie jetzt nicht wirklich gesagt! Und ich sitze dabei ganz brav an meinem Klavier, bringe aber solche Themen. Ich genieße meine Rolle als Geschichtenerzählerin.

Ist es dieses Aufeinanderprallen-Lassen von Gegensätzen, dieses gegenläufige Spiel mit dem Text und seiner Präsentation, woraus das Besondere ihrer Lieder entsteht?

Meine Lieder entstehen ganz intuitiv. Ich mach mir keine Gedanken über ihre Dynamik, sie entwickelt sich im Prozess am Instrument. Dazu kommt, dass ich eine große Liebe für die deutsche Sprache habe, und zum Beispiel Wortwitze und Reime toll finde. Und dann sind es meine eigenen Erlebnisse, die ich einbaue. Die Idee von Tim liebt Tina war zum Beispiel, dass ich ein Beziehungskarussell darstellen wollte, dass am Ende wieder von vorne anfängt. Und bei Benjamin war es der Refrain, den ich schon hatte und ich mich nur noch fragen musste: Wie wird die Geschichte darum herum?

In „Wenn du nach Hause kommst“ geben Sie im Text das brave Mäuschen und zur selben Zeit widerlegen Sie diese Vorstellung in der Art und Weise, wie Sie den Text singen, genüsslich. Worin liegt die Kraft der Ironie für Sie?

Ironie hat was mit Timing zu tun, mit Rhythmus. Sie findet im Zuhörer statt. Manchmal versuche ich auch, etwas zu konstruieren und es klappt dann beim Publikum gar nicht. Die Dinge müssen spontan mit einer Leichtigkeit geschehen, sie müssen purzeln. Außerdem macht es mir Spaß in Rollen zu schlüpfen, gerade in „Wenn du nach Hause kommst.“ Ich bin das ja nicht wirklich, das sind Geschichtenerzählerrollen.

Wenn man sich die Richtung dieser Brüche in ihren Liedern anschaut, dann ist das ganz häufig eine Richtung – nämlich die von einem Traum hin zu seinem Zerplatzen. Dahinter wird oft eine ziemlich traurige Wirklichkeit sichtbar. Lauert hinter dem Sommer aus Papier immer schon die Realität eines traurigen Winters?

Der Sommer aus Papier ist ja kein wirklicher Sommer. Er ist nicht wahr. Er versucht an etwas zu erinnern, das aber nicht ist. Ich mag diese tragische Komik sehr gerne. Tim liebt Tina ist ein tragisches Lied – keiner kriegt den, den er will. Benjamin – das ist schrecklich – du bist mit einem Typen zusammen und der vögelt nebenan mit der Nächsten. Ich mag Melancholie, aber trotzdem muss dabei immer Hoffnung bestehen bleiben! Ich bin keine Pessimistin, ich bin Optimistin, egal wie schlimm die Zeiten sind!

Ein weiteres großes Thema, das die Erzählhaltung vieler ihre Lieder prägt, ist Einsamkeit– in „Vom Leben als Gespenst“ schildern sie einen Mann, der sich in seiner Einsamkeit durch die unerwiderte Liebe zu einer Frau verliert – was bedeutet Ihnen Einsamkeit?

Das Leben als Gespenst ist ja fast schon eine Märchengeschichte, von jemandem, der unsichtbar wird und sich fragt: Was mache ich denn jetzt? Gleichzeitig hat das aber auch viel mit den Empfindungen in der heutigen Zeit zu tun. Es gibt Leute, die fühlen sich unsichtbar, die haben das Gefühl, mich sieht keiner, mich registriert keiner. Das ist tragisch. Ich verpacke das in den Märchenbildern von dem Typen, der unsichtbar im Baum sitzt, die ganze Zeit ans Fenster klopft - und die Frau glaubt halt einfach nicht an Gespenster. Sie denkt, das ist der Baum, der dagegen bollert. So nach dem Motto: Es gibt keine Gespenster, ich sehe den nicht! Deswegen gibt es zwischen ihnen keinen Austausch – und das ist echt tragisch.

Auch auf ihrem neuen Album kommt das Thema Einsamkeit wieder zum Vorschein – diesmal haben Sie aber dafür eine Lösung parat: Sie singen dort: „Damit ich ohne dich hier nicht erfrier, bau ich mir meinen Sommer aus Papier.“ Ist das die pragmatische Seite der Anna Depenbusch – lieber den brüchigen Fetzen der Hawaiitapete in der Hosentasche als die Schwärmereien vom Sommer im Kopf?

Es ist dieser Optimismus. Wenn es jetzt kalt und ungemütlich ist, dann bastel ich mir eben was, das diese Gefühle in mir weckt. Das neue Album ist sehr bewusst im Winter erschienen. Es ist nicht als Sommeralbum für warme Abende auf der Terrasse konzipiert. Sondern es soll wie eine kleine Wärmflasche sein. Die Leute finden das toll als Bild, das merke ich an Reaktionen und Einträgen im Gästebuch: Es ist kalt, aber ich leg die CD ein und bau mir meinen Sommer. Den Gedanken finde ich gut. Denn das Gefühl, dass dieser falsche Sommer produziert, ist ein echtes Gefühl. Die gute Laune ist ja eine echte Laune, die ist nicht aus Papier. Das Schmunzeln ist echt.

Vielen Dank für das Gespräch! Was steht bei Ihnen an für den echten Sommer 2013?

Erstmal steht jetzt eine Reihe von tollen Sommerfestivals an und dann werde ich in den Urlaub fahren – irgendwie hab' ich das Gefühl, ich müsste eigentlich mal nach Hawaii (verschmitztes Lächeln). Danach werde ich mir Gedanken machen, wie es weitergeht – ich habe schon Ideen fürs nächste Album, und die werde ich dann genauer unter die Lupe nehmen.

Anna Depenbusch tritt am 5./6. Juli im fränkischen Bad Staffelsteinim Rahmen des Liedermacherfestivals „Songs an einem Sommerabend“ auf Kloster Banz auf.

Interview: Thomas Jordan

 

 

Veröffentlicht am: 19.06.2013

Andere Artikel aus der Kategorie