20 Jahre Domagk-Ateliers

Es war so schön, dann kam die sanierende Hand

von Michael Wüst

An acht Tagen feierten die Domagk-Ateliers im Haus 50 und auf dem Freigelände im Münchner Norden ihr 20jähriges Bestehen. Dazu gab es ein reiches Rahmenprogramm mit einem Dutzend Bands, Filmen und eine Podiumsdiskussion.

Kühler Beginn einer achttägigen Domagk-Feier. Foto: Michael Wüst

Nasskalt waren die ersten Tage, die Buden und Bühnen draußen litten darunter. Zur Eröffnung war Stadtrat Marian Offman erschienen, in Vertretung des Oberbürgermeisters. Lobesworte, gleichermaßen an alle gerichtet, ließen die Stadt erglänzen im Lichte der geförderten Hallen und Quartiere. Künstler zu sein, bedeute einen hohen Grad der Selbstverwirklichung zu leben, er, Marian Offmann, könne das beurteilen, er sei Hausverwalter. Soweit zur Imagination des Fremden.

Eine grüne Stelzenläuferin lehnte während der Ansprache gelangweilt an einem Fotofix-Automaten dahinter. Es war, als wäre sie an der Langeweile gewachsen und grün geworden. Die Szene, inklusive des Redepults, aus rohen Baubrettern zusammengenagelt, hätte man bezeichnen können als einen Ironieversuch über abgelaufene Haltbarkeit.

So weit, so gut. Und nicht sehr weit. Aber es war eben kalt und nass und hell. In der Helligkeit des Ausstellungsraumes von Haus 50 schaltete DJane Adrienne Dostal eine Soundeinheit an, dazu gab es Sprudelndes in Flöten und abtastende Gespräche.

Gedämpfte Akustik. Flüstern. Grüppchenbildung. Domagk ist überall.

Was ist los? Es hatte doch so bunt, kaputt, lebendig, wirr und schön begonnen. 1993 waren die Kasernentore der Funkkaserne geöffnet worden. In kürzester Zeit bezogen mindestens 240 vorwiegend bildende Künstler in elf Häusern Ateliers. Später, 2001, würde ein Stadtratsbeschluss diesem Völkchen, das man später Europas größte Künstlerkolonie nannte, eine spätere Nutzungsfläche von 20.000 Quadratmeter zubilligen. Die legendäre Alabamahalle zog hier her, es gab einen Sikh-Tempel, einen Swingerclub und die Jazzwelle Plus. Und es gab jede Menge Hobos, Abschrauber, Umschrauber, Schauspieler und Schaustehler. Aber eines Tages zog ein Schatten auf, die öffentliche, heilende, die sanierende Hand kam über das Gelände.

Die Vertreter der Stadt verhandelten immerhin geschickt. Sie bemängelten den belasteten Boden und den Lärm der nahen Autobahn. Und sie hatte ja auch wohlfeile Mieter im Köcher. 2006 kaufte dann die Stadt. Es zog sich und dauerte noch bis 2007. Erst der neue Kulturreferent Hans Georg Küppers brachte Schwung in die brachliegende, bleierne Zeit. Schon 2008 war fertig saniert. Aus 240 Ateliers im Haus 50 wurden 120 in einem von ehemals elf Häusern. Insgesamt ein gutes Ergebnis für die Stadt. Grundsätzlich kann sie, im Besonderen das Kulturreferat, heute schon mit Stolz und Recht verweisen auf insgesamt 180 geförderte und betreute Ateliers, Baumstraße 8 mit 24 und Dachauer Straße 110g mit 25 Atelier mitgerechnet.

Dass der Jetztzustand durchaus nicht als eitel Wonne wahrgenommen wird, ist für jeden, der das Gelände betritt, mit allen Sinnen greifbar. Kontrovers stehen sich die Pioniere der frühen Wildwuchsphase und die Vertreter der Stadt gegenüber.

Vertikale Top-Down-Verwaltung oder doch eher Archipele? Foto: Michael Wüst

Zu dem äußerst komplexen Thema wurde vor einigen Tagen (3. Juli 2013), eine Podiumsdiskussion angeboten, Peter Seyferth (LMU München) schickte einen Vortrag über vertikale (herkömmliche) und mögliche, noch utopische, horizontale Verwaltungsstrukturen voraus. Obwohl Seyferth, didaktisch behutsam, dem Podium Denkanstöße zu einer grundsätzlicheren Auseinandersetzung mit Fragen der Selbstverwaltung gab, wurde aus einem profunderen Diskurs nichts. Bernhard Springer, seit langem auf Domagk dabei, moderierte. Im Grunde erschöpfte sich die Runde allerdings eher in der Selbstdarstellungen eines Jeden. Der Landtagsabgeordnete Sepp Dürr von Bündnis 90/Die Grünen fand bemerkenswert, dass ihn die Künstler an seine Landwirte erinnerten: die produzierten auch immer und dächten nicht ans Verkaufen. Soweit zur Imagination des Fremden. Dörte Bäumer (Kunstheft ArtMuc) und Gotlind Timmermanns (Malerin und Kuratorin mit Atelier auf Domagk) stellten die überregional positive Akzeptanz des Geländes und die internationale Vernetzung mit anderen Kunstorten heraus.

World Wide Domagk. Foto: Georg Szabo

Die Beliebtheit der Künstlersonntage. Klaus von Gaffron sorgte für Unruhe mit der Bemerkung, die Künstler der ersten Stunde seien selber schuld daran, dass der alte Zustand nicht mehr bestünde. Und dann das Eigenartige: Bernhard Springer löste kurz danach das Podium auf und empfahl in Gruppen weiter zu diskutieren. Sollte man das als horizontalen Diskussionsansatz ansehen? Archipelstruktur? - Lassen wir die schicken Euphemismen beiseite, Öffentlichkeit sieht jedenfalls so nicht aus. Kein Wort zu der bevorstehenden Entscheidung einer (noch geheimen?) Kulturreferatsjury in Sachen Weitervergabe der Ateliers für die nächsten fünf Jahre. Schweigen, Flüstern, Abtasten, Domagk ist überall.

Wir fragten nochmal telefonisch bei Klaus von Gaffron nach. Die Selbstverwaltungen der einzelnen Häuser hätten jahrelang keine für das Gelände gemeinsam gültige Meinung formuliert. Organisiert in den verschiedensten juristischen Personen hätten sie kontinuierlich aneinander vorbeigeredet und keine konkreten Vorschläge zum Ausdruck gebracht. Sagt Klaus von Gaffron, der eigentlich ein Freund des Wildwuchses sei.

Wildwuchs. Brachland. Die Dokumenta 13 des Jahres 2012 stand unter dem Motto „Collapse and Recovery“. Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev verfocht zum Beispiel medienwirksam das Wahlrecht für Erdbeeren. Mit der klassischen Überspitzung der Avantgarde forderte sie ein Grundrecht auf Nichtkommerzialisierung all dessen, was wild und freiwillig wächst. Installationen wie 60 Mangoldsorten in einem Boot, Goldbarren aus Erde oder ein „Doing Nothing Garden“, auf einem Hügel von Zivilisationsmüll wachsend, wiesen auf ein geändertes Verständnis dessen hin, was brachliegt.

Mithin formulierte sich da eine neue politische Kunst innerhalb der alten westlichen Industrieländer, die mit Begriffen wie Coworking, Fablab, Urban Gardening, Mundraub oder Guerilla Knitting (das Einstricken von zum Beispiel öffentlichen Einrichtungen) hantiert. Smarte Nomaden mit Laptop, Hacke und autochthonem Saatgut in der Hosentasche dringen vor in die vom Kapital verlassenen Räume der Städte, da ihr Leben zu meistern. Jean Jacques Rousseau und Henry David Thoreau haben anscheinend mal wieder Geisterstunde. Die Pioniere von Domagk zwischen zwei Hippiewellen?  In den 90er als Hippies zu alt, für das Neue zu früh dran? Viele Chancen auf Brachland wird's in München in absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht mehr geben.

Veröffentlicht am: 11.07.2013

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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Oliver
13.07.2013 21:51 Uhr

Hi, Michi

guter Artikel!

schick mir bitte ne leere mail, damit ich Dir mal den SZ Artikel schicken kann, hab Deine mailAdresse nicht.

Grüße

Olli