Kurt Elling in der Unterfahrt

So einer sieht sogar am Tambourin cool aus

von kulturvollzug

Let´s fly away. Foto:Unterfahrt, Christine Huber

Erwartungshaltung hautnah erlebbar: Der Jazzclub Unterfahrt ist bis auf den letzten Platz besetzt. Gespanntes Warten auf Kurt Elling. Viele Sänger der Münchner Jazzszene sind auch da, um den neuesten Coup ihres erfolgreichen Kollegen live zu hören. Besonders der weibliche Teil des Publikums bekommt schon mal glänzende Augen. Als wäre ihr völlig klar, dass nun endlich der Star-Sänger auf die Bühne muss, hält Christiane Böhnke-Geisse ihre Anmoderation heute besonders kurz. Sie weiß, sie muss nicht viel sagen zu diesem Mann, den hier jeder längst kennt. Zuletzt war Elling mit seinem Album „The Gate“ zu Gast, für das er 2012 den Preis Echo Jazz erhielt - was fein harmoniert mit dem Umstand, dass die Unterfahrt im gleichen Jahr den Echo Jazz „Förderer des Jazz“ erhalten hatte.

Im Mittelpunkt des Abends steht das Album „1619 Broadway – The Brill Building Project“. Das Konzept: Nimm einen Schwung Pop-Songs aus der produktivsten Pop-Hit-Schmiede in New York und mach daraus Jazz. Das Album ist denn auch ein ernsthafter Anwärter auf den Grammy 2013. Wenn es gewinnt, wäre das bereits Ellings zweites Grammy-Album nach „Dedicated to You“, einem Tribut an John Coltrane und Johnny Hartman. Nominiert wurde jedes seiner inzwischen zehn Alben. Ganz abgesehen von Titeln wie „Male Vocalist of the Year“, die Downbeat und JazzTimes Elling regelmäßig zusprechen.

Mit „Come Fly With Me“ geht der Starvokalist gleich zu Anfang des Abends auf akustischen Kuschelkurs. Warm und sonor brummt sich der versierte Bariton in die Ohren seiner Zuhörer. Schon bei diesem Stück gibt er in einem ersten Scat-Solo einen Eindruck von seinem enormen Stimmumfang, ausgefeilten Vokaltechniken und vielseitiger Improvisationskunst. Und das ist erst der Anfang. Elling hat sich offenbar fest vorgenommen, sich so oft wie möglich selbst zu überbieten. Er kennt die Erwartungen seines Publikums, und er will sie erfüllen. „Ich will, dass die Menschen am Ende begeistert sind, bewegt, und dass sie gute Gespräche führen, wenn sie nach Hause gehen. Wenn es überhaupt möglich ist, sollen sie das Gefühl haben, sie haben so etwas noch nie zuvor gehört.“

Er ist mehr Vokalkünstler als Sänger. Das bedeutet jede Menge Scatten und andere Stimmtechniken. Manchmal klingen seine Scat-Soli so locker, als würde er nur mal eben ein paar Vokale über dem Instrumententeppich verstreuen. Bei einigen Stücken begibt er sich dann auf eine rasante stimmliche Berg-und-Tal-Fahrt. Von flirrenden Höhen bis in dröhnende Basstiefen. Den Einstieg in das Stück „On Broadway“ setzt er mit einer feinen Stimminterpretation, die von einem kristallklaren Windspiel bis zu Didgeridoo-artigen Tönen reicht. Besonders bei „The Waking“ und „I’m satisfied“ läuft Elling zur Scat-Hochform auf. Er tritt in intensiven, rasanten und variationsreichen Dialog mit seinem Mikrofon. Damit noch mehr Abwechslung ins Spiel kommt, muss bisweilen schon mal der Jackettärmel für Streichelsounds herhalten.

Zugleich bringt Elling gern ein schauspielerisches Element mit hinein. Auf der Bühne ist er voll und ganz Entertainer. Schmachtballaden wie „A house is not a home“ spiegeln sich in einer entsprechend ergriffenen Mimik. Da wischt sich Elling schon mal eine Träne aus dem Augenwinkel. Bei „I only have Eyes for you“ steht er als versonnener Träumer auf der Bühne. Mit dem lange ausklingenden, schwingenden Basston demonstriert er noch einmal das gesamte Schmelzpotential seiner Stimme. Er kann auch leichtherzig und spielerisch oder grimmig und ernst. So einer sieht sogar am Tambourin cool aus.

Doch Elling führt nicht nur anspruchsvolle stimmliche Monologe. Er begibt sich auch gern in Dialog mit seinen Instrumentalisten. So ist ein bemerkenswerter Scat-Dialog mit Drummer Bryan Carter der Einstieg in das Stück „Samurai Cowboy“. Bei seiner Interpretation des Stevie Wonder-Songs „Golden Lady“ ist es Gitarrist John McLean, mit dem Elling eine spannende Unterhaltung von Stimme zu Instrument führt.

Die Instrumentalisten selbst sind jeder für sich bemerkenswert. Im Lauf des Abends zeigt jeder von ihnen die Virtuosität seiner eigenen Stimme in ausdrucksstarken Soli. Pianist Laurence Hobgood, mit dem Kurt Elling schon seit fast zwei Jahrzehnten arbeitet, macht den Anfang gleich bei „Come fly with me“. Bei „A House is not a Home“ und „Golden Lady“ steht er noch einmal im Vordergrund. Souverän und temporeich lässt er seine Improvisationen aus dem Steinway-Flügel perlen wie aus einem Springbrunnen. Hobgood zeichnet zusammen mit Elling auch für einen Großteil der Arrangements verantwortlich. Gitarrist John McLean rauscht als Solist bei „You send me“, „Estate“, „On Broadway“ und „Golden Lady“ hochkonzentriert das Griffbrett entlang. In einem rasanten und variationsreichen Tanz mit den Saiten zupft er auch aus dem entlegensten Bund noch neue Klänge. Bei „Samurai Cowboy“ zeigt Bassist Clark Sommers, was für stimmige und energiegeladene Soli sich aus einem Kontrabass herausspielen lassen. Schlagzeuger Bryan Carter spielt sich in seinen Soloparts bei „Estate“, „On Broadway“ und „Golden Lady“ rasant von den High Hats bis zur Base Drum. Er holt von wuchtigen, komplexen Rhythmusfolgen bis zu zarten Besenklängen alles aus seinem Schlagzeug heraus.

Einen weiteren Stimmkontrast setzt Elling mit Vocalese. Bei dieser Methode wird ein Gedicht klanglich mit einem Instrumentalsolo verschmolzen. An diesem Abend ein Gedicht von Rilke, das der Sänger auf Deutsch vorträgt. Das gilt auch für die Zugabe, ein Lied von Johannes Brahms in einem Arrangement von Laurence Hobgood. Das Publikum liebt es, Ellings Stimme auf Deutsch zu hören. Für sprachliche Vielfalt sorgt er an diesem Abend noch mit drei weiteren Sprachen. Mit dem italienischen „Estate“, einem polnischen Stück von Anamaria Jopek und dem französischen „La vie en rose“ als zweite Zugabe.

Bei so energiegeladener und fein abgestimmter Arbeit verwundert es nicht, dass auf der Bühne regelmäßig die Handtücher gezückt werden. Farbabsprachen gab es offenbar nicht, höchstens die, dass jeder offensichtlich ein anderes haben wollte. So tupft sich Elling weiß, Hobgood bunt und Carter braun den Schweiß von der Stirn.

Elling weiß auch Komplimente zu verteilen. An diesem Abend besonders an Keith Jarrett, dessen Konzert er am Vorabend besucht hatte, und an Christiane Böhnke-Geisse für ihren Einsatz in der Unterfahrt. Natürlich an sein Publikum. Ohne Zugaben lässt es ihn denn auch nicht gehen. Die verklingende zweite Zugabe belässt den Raum in Stimmengewirr und Gemurmel, gespickt mit Superlativen. Ellings Konzept ging offenbar einmal mehr auf. „Begeistert“ ist ein geeignetes Wort dafür.

Christina Maria Bauer

 

Anm. d. Red. (24.7.13, 16.30 Uhr): Zwei kleine stilistische Änderungen wurden vorgenommen im Vorspann und im viertletzten Absatz.

Veröffentlicht am: 24.07.2013

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