Haidhauser Literaturbox 1 mit Thomas Lang und Julian Warner

Wo der Mensch aufhört und der Affe anfängt

von kulturvollzug

Literaturbox 1 im Einstein. Diskutiert werden Affen im Allgemeinen und Besonderen. Foto: Ana Maria Michel

Einmal im Monat verwandelt sich das KiM Kino im "Einstein"  in die Lesebühne Haidhauser Literaturbox 1. Seit November 2012 rufen Petra und Hellmuth Lang Autoren dazu auf, ihre Manuskripte einzusenden. Aus der Vielzahl der Texte wählt Petra Lang für jede Lesung zwei Gäste aus, die mal mehr und mal weniger miteinander zu tun haben. Zur letzten Lesung im Jahr 2013 waren Thomas Lang und Julian Warner geladen.

Petra Lang beteuert zwar, mit Thomas Lang in keiner Weise verwandt zu sein, doch die Autoren kennen einander: Warner hatte 2009 unter der Leitung von Thomas Lang an der zehnten Auflage des Manuskriptum-Kurses für kreatives Schreiben an der Ludwig-Maximilians-Universität teilgenommen. Bei der 12. Lesung in der Haidhauser Literaturbox 1 knüpfen sowohl Thomas Lang als auch Warner an die literarische Tradition der Figur des Affen an. Beide verhandeln anhand dieses Wesens, das dem Menschen manchmal ähnlicher ist als ihm lieb ist, die Frage nach Identität.

Autor Thoma Lang las aus seinem 2012 erschienenen Roman "Jim". Foto: Astrid Menigat

Thomas Lang, der 2005 für „Am Seil“ mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde, ist Jahrgang 1967 und liest aus seinem aktuellen Roman „Jim“, der 2012 im C. H. Beck Verlag erschienen ist. Der 1985 geborene Warner steht dagegen noch ganz am Anfang seiner Karriere. Er stellt in der Haidhauser Literaturbox 1 seinen Roman „Rotpeter“ vor, an dem er im Moment noch arbeitet. Die Wahl der Autoren macht das Konzept der Lesebühne deutlich: Weder Alter noch Ruhm spielen für Petra Lang eine Rolle. „Ich mag Texte, die mich verblüffen, verzaubern oder schlicht unterhalten“, sagt sie. Die Haidhauser Literaturbox 1 scheint vor allem ein Herzensprojekt zu sein. Normalerweise kommen zwischen 18 und 25 Leuten zu den Lesungen. Dass das kleine Kino mit seinen 50 Sitzplätzen maximal zur Hälfte gefüllt ist, trägt zur familiären Atmosphäre bei. Alles ist ein bisschen improvisiert, aber genau das macht die Haidhauser Literaturbox 1 zu einer sympathischen Veranstaltung. Petra Lang und das Publikum teilen die Begeisterung für gute Texte und verzichten gerne auf einen pompösen Rahmen.

 

 

 

Thomas Lang erzählt in „Jim“ die Geschichte von Frank Opitz, welcher weder als Kulturjournalist noch als Schriftsteller so richtig erfolgreich ist. Außerdem leidet er seit einer Tumoroperation an einem furchtbaren Phantomschmerz in der linken Hand, die ihm deswegen als riesenhaft erscheint. Ein Handicap hat auch der Orang-Utan Jim, der in Opitz‘ Garten lebt.

 

Der Affe kann nicht klettern. Diese entscheidende Fähigkeit ist dem ungewöhnlich friedlichen Tier, das in jungen Jahren aus seiner natürlichen Umgebung gerissen wurde, nie beigebracht worden. Jim kann zwar nicht so, wie er der Natur nach sollte, dafür malt er mit seinen übergroßen Affenhänden gleich einem kindlichen Genie in unregelmäßigen Abständen sehr kunstvolle Bilder. Auch Opitz fühlt sich zu Höherem berufen, doch das einzige, was er in Perfektion beherrscht, ist die äußerst geschickte Zubereitung eines Latte macchiato. Auch in dem Gartenbett, das seine Frau Anna bei "Manufactum" erworben hat, kann Opitz nicht schlafen. Im Gegensatz zu ihm, der stets auf einen ausreichend großen Sicherheitsabstand achtet, wenn er Jim das Bio-Obst in den Garten stellt, hat Anna keine Angst vor dem Affen mit den großen haarigen Pranken und schmust sogar mit ihm. Diese Intimität ist mit dem von Schmerzen gepeinigten Opitz nicht möglich. Dessen eigentlicher Rivale ist jedoch sein langjähriger Freund Tobias Mundt. Der hat alles, was Opitz nicht hat: Erfolg, Potenz und Furchtlosigkeit. Als sich der Orang-Utan Jim zu ihm und Anna in das gerade aufgebaute Gartenbett legen will, wird das allerdings auch Mundt zu viel.

Julian Warners Protagonist "Rotpeter" ist ein sprechender Affe, allerdings ohne Doktortitel. Foto: privat

Auf die komische Absurdität von Thomas Langs Erzählung trifft man auch bei Julian Warner, der mit seinem sehr lebendigen Vortrag das Publikum begeistert. Inspiriert durch Franz Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“ macht er den sprechenden Affen Rotpeter zum Protagonisten seines gleichnamigen Romanprojekts. Anders als Kafkas Gregor Samsa, der sich eines Morgens unfreiwillig in einen Käfer verwandelt sieht, macht der Schimpanse Rotpeter eine umgekehrte Metamorphose durch: Das Tier muss den Habitus eines Menschen annehmen, um frei sein zu können.

Rotpeter ist ein durch und durch distinguierter Affe: Er hat eine Vorliebe für Weinbrand, beschäftigt einen Kammerdiener und verehrt den Schriftsteller Rudyard Kipling, der seiner Meinung nach ein genialer Kenner des Animalischen ist. Dieser sehr menschliche Affe ist weder eine natürliche noch eine juristische Person. Nichtsdestotrotz führt er Korrespondenzen mit hohen Staatsmännern und hat ein Gerichtsverfahren in die Wege geleitet. Er, der sich wissenschaftlich mit Rassenfragen beschäftigt, beschuldigt die Universität Freiburg, ihm die Doktorwürde vorzuenthalten und sein geistiges Eigentum entwendet zu haben. Die Erzählung spielt zur Zeit der Weimarer Republik; das Deutsche Reich hat seine Kolonien im Zuge des Versailler Vertrags abgeben müssen. Der Status von Rotpeter ist mehr als unklar, denn er ist mit der Abtretung Kameruns an Frankreich einerseits Subjekt der französischen Kolonialregierung, aber gleichzeitig noch Eigentum der insolventen deutschen Firma Hagenbeck. „Ich bin ein Tier, aber ich werde mich ändern“, sagt Rotpeter. Doch das nützt ihm nichts, als er von den Schutzmännern an der Leine aus seinem Büro geführt und in die Obhut des Ministeriums für Wiederaufbau gebracht wird.

Obwohl Ruhm, Alter und Erfahrung sie trennen, begegnen sich Thomas Lang und Julian Warner in der Haidhauser Literaturbox 1 auf gleicher Augenhöhe. Die Lesung endet mit viel Lob vom Publikum und mit einem Gespräch zwischen den Autoren.

Thomas Lang und Warner thematisieren in ihren Texten die problematische Abgrenzung zwischen dem Ich und dem Anderen. Dabei wird die Figur des Affen zu einer Art verzerrtem Spiegelbild. Der Orang-Utan Jim erscheint als das, was im Raum steht, aber nicht wirklich benannt werden kann. Ob es sich bei dem Garten um das Paradies oder doch eher um die Vorhölle handelt, ist ebenfalls nicht ganz klar. Auch der Schimpanse Rotpeter entzieht sich jedem Versuch der Einordnung. Die Unterscheidung zwischen Mensch und Tier gilt als die kulturgeschichtliche Urdifferenz schlechthin. „Rotpeter“ und „Jim“ stellen diese Unterscheidung gehörig auf den Kopf.

Die Haidhauser Literaturbox 1 im KiM Kino im Einstein Kultur hat für 2014 weitere Leseabende angekündigt. Am 25. Januar werden zunächst die Autoren Julia Wörle und Jörg Neugebauer zu Gast sein.

Ana Maria Michel

Veröffentlicht am: 19.12.2013

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