"Otello" von Rossini bei den Salzburger Pfingst-Festspielen

Zweiter Frühling beim Gipfeltreffen

von Volker Boser

Cecilia Bartoli. Foto: Silvia Lelli

Die Bilanz kann sich sehen lassen. Steigerung der Besucherzahlen um 6 Prozent, dazu 96 Prozent Platzauslastung: Cecilia Bartoli hat es geschafft, als umtriebige Chefin den verblichenen Glanz des Salzburger Pfingst-Events kräftig aufzupolieren. Und das, obwohl sie in der zweiten Opern-Produktion der Festspiele gleich gegen drei Tenöre zu kämpfen hatte. Rossini macht es möglich. Denn in Neapel, wo 1816 die Uraufführung des „Otello“ stattfand, herrschte ein unüberbrückbarer Mangel an tiefen Männerstimmen.

Etwa 70 Jahre vor Verdi hatten der Komponist und sein Textdichter Francesco Berio allerdings ohnehin eine andere Gewichtung des Shakespeare-Stoffes im Sinn. Otello sieht sich „unter missgünstigem Himmel geboren“. Venedigs Schickeria lässt ihn deutlich spüren, dass er ein afrikanischer Außenseiter ist. Desdemona, die ihn dennoch heimlich geheiratet hat, stellt sich mutig dem Konflikt mit dem Vater, dessen Wunsch die für ihn politisch günstigere Liaison mit Rodrigo war. Der Rest ist bekannt. Auch bei Rossini führt die Intrige des Zynikers Jago zum bitterbösen Ende.

Die Idee des Regieteam Moshe Leiser und Patrice Caurier, das Thema „Rassismus“ in den Mittelpunkt zu stellen, bot sich geradezu an. In einem kalten, protzigen Riesenraum (Bühne: Christian Fenouillat), wird Otello zwar für seinen Sieg über die Türken gelobt, aber man lässt ihn deutlich spüren, dass er nicht dazu gehört. Eine muslimische Kaschemme bleibt sein einziger Zufluchtsort. Da und dort tragen Leiser und Caurier vielleicht ein wenig zu dick auf, aber insgesamt wird die Geschichte schlüssig und ohne unsinnige Eingriffe erzählt.

Neugierig war man vor allem darauf, ob das Misstrauen gegenüber den ernsten Werken Rossinis auch hier gerechtfertigt sein würde. Lord Byron empörte sich einst, dass Rossini Shakespeare zu einer Oper „verunstaltet“ habe. Schubert schwärmte nach einem Besuch des „Otello“ vom „außergewöhnlichen Genie“ des Komponisten.

In der Tat enthält die Musik eine Vielfalt bewegender Momente. Vor allem im letzten Akt, dessen düstere Geschlossenheit durch den Dirigenten Jean-Christophe Spinosi zusätzliches Gewicht bekam, weil er mit dem Ensemble Matheus auch den zahlreichen Accompagnato-Rezitativen mannigfache Akzente zu entlocken verstand.

Gesanglich erlebte Salzburg ein Gipfeltreffen: Der ein wenig dunkler timbrierte Tenor von John Osborn (Otello) setzte sich klar ab gegen die virtuose Konkurrenz von Edgardo Rocha (Rodrigo) und Barry Banks (Jago). Und Cecilia Bartoli scheint einen zweiten Frühling zu erleben. Wie sie im letzten Akt das „Lied von der Trauerweide“ zart, schlicht und ohne emotional aufgeblasene Effekthascherei meisterte, war schlicht grandios. Alle zuvor glitzernden Koloraturen wurden plötzlich zur Nebensache.

Veröffentlicht am: 13.06.2014

Über den Autor

Volker Boser

Volker Boser ist seit 2010 Mitarbeiter des Kulturvollzug.

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