Feuchtwanger-Ausstellung im Literaturhaus

816 Seiten - jetzt gefeiert von den Stierwütigen

von Karl Stankiewitz

Feuchtwanger um 1925 Foto: Akademie der Künste, Bertolt-Brecht-Archiv

Das Literaturhaus München zeigt eine ungewöhnliche Ausstellung über ein ungewöhnliches Buch: Lion Feuchtwangers „Erfolg“, 1930 in Berlin erschienen. Der München-Roman schlechthin. Anfangs ohne Erfolg, dann von den zur Macht gelangten Betroffenen verboten und verbrannt, schließlich vergessen und in der Nachkriegszeit nur in Ostberlin gedruckt, nach 1960 aber Lehr- und Kultbuch für alle Bayern-Versteher, abermals politisches Ärgernis, heute Klassiker der Monacensia- und Bavarica-Literatur.

In der bis Februar 2015 inszenierten Ausstellung wird das Buch quicklebendig. Es wird sichtbar, hörbar und sogar begehbar. Dem Besucher bietet sich eine erlebnisreiche Wanderung durch 816 Seiten Text (Aufbauverlag, 7. Auflage, 2000). An mehreren Schauplätzen (Gefängnis, Biergarten, Museum und so weiter) werden ihm die entschlüsselten Figuren des Romans (Hitler, Brecht, Valentin und so weiter) und die geschilderten oder erfundenen Ereignisse durch gelesene Zitate per Audioguide vorgestellt. Dazu veranschaulichen Filme, Fotos, Zeitungen, Plakate und andere zeitgeschichtliche Dokumente die Fakten und Entwicklungen der Münchner Zwanzigerjahre. Auf diese Weise entrollt sich vor dem Besucher ein Sittengemälde, ein Gesellschaftspanorama jener verwirrenden, aufregenden Epoche. Und mehr als das.

Dem Literaturhausherrn Reinhard G. Wittmann, der die Ausstellung zusammen mit der Germanistin Vera Bachmann kuratiert hat, kam es darauf an, die dem Roman eigene Polarität zu verdeutlichen zwischen der Grundstimmung einer auf Traditionen beharrenden bis reaktionären Mehrheit auf der einen Seite und einer der Liberalität, dem Fortschritt, der Technik, der modernen Kunst zugeneigten Minderheit auf der anderen. Ein Spannungsbogen, der in der von Feuchtwanger bis zur Kenntlichkeit karikierten „bayerischen Hochebene“ weiterhin wirkt, nunmehr herausfordernd als „Laptop und Lederhose“ bezeichnet.

Bei dieser Konzentration auf das Buch musste Wichtiges wegbleiben. Erstens die Vita des jüdischen Schriftstellers, der 40 Jahre seines Lebens (1884 - 1958) in München verbracht hat wie sein Zeitgenosse Thomas Mann. Und zweitens die Folgen des Buches „Erfolg“. Deshalb hier eine journalistische Erinnerung: 1957 schlug die SPD im Münchner Stadtrat den Emigranten, der mit seiner Frau Marta in Los Angeles viele Kollegen um sich versammelt hatte, für den Literaturpreis der Stadt vor. Es gab heftigen Widerstand. Hatte dieser Ex-Münchner doch seiner Geburtsstadt das Motto „Bauen, Brauen, Sauen“ unterstellt und seinen Landsleuten „knorrige Grobheit“ oder „dumpfe Stierwut gegen alles Neue“.

Den Literaturpreis hat Feuchtwanger, dem die DDR schon 1953 ihren Nationalpreis verliehen hatte, nach einigem Gezänk doch noch bekommen. Die 3000 Mark Preisgeld stiftete er dem Schutzverband der Schriftsteller und einer kritischen Studentenzeitung. Einige Monate später aber distanzierte sich das komplette Stadtparlament auf Antrag der CSU wieder von dem Geehrten und erklärte, man habe nur dessen künstlerische Leistung anerkannt, nicht seine politische Haltung. Feuchtwanger hatte nämlich zum 40. Jahrestag der Revolution nach Moskau telegrafiert: „Verständigung mit der Sowjetunion der einzige Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands.“ (Was sich ja 1989 bestätigte).

Der Tod am 21. Dezember 1958 verwehrte ihm die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches: sein geliebtes München noch einmal wiederzusehen. „Der Fortschritt setzt sich nur hart und langsam durch“, waren seine letzten Worte. Es dauerte dann nach der städtischen Ehrung noch einmal neun Jahre, bis an seinem Geburtshaus im Lehel, wo er 13 Jahre lang gewohnt hatte, eine Gedenktafel angebracht wurde. Immerhin tragen inzwischen eine Straße und ein Gymnasium den Namen des Literaturpreisträgers. Und sein „Erfolg“ erlebt Neuauflagen, Lesungen, Verfilmungen, Ausstellungen wie die neueste im Literaturhaus – späten Erfolg eben.

Einen Rundgang zu Münchner Orten des Lion Feuchtwanger beschreibt Karl Stankiewitz in „Poeten-Pfade in Bayern“, Kiebitzbuch 2005. Eine neue Biographie „Lion Feuchtwanger. Münchner, Emigrant, Weltbürger“ hat der Stadtarchivar Andreas Heusler im Salzburger Residenzverlag herausgegeben).

 

Veröffentlicht am: 18.10.2014

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