Zur CD "At The Middle" mit Geoff Goodman und Fjoralba Turku

Dunkel leuchtende Enklave in einem Nowhere-Palazzo von John Cage

von Michael Wüst

Das Cover. Foto: Tutu Records

Zur Veröffentlichung ihres Erstlings “Joshua” ist die in Albanien geborene und München lebende Sängerin und Schauspielerin Fjoralba Turku bereits ausgiebig mit Lorbeeren bedacht worden. Dass der Vorschuss keinesfalls verbraucht war, sondern sehr gewinnbringend angelegt wurde, zeigt nun die neueste CD „At The Middle“, die heuer im Sommer bei Tutu Records herauskam. Die beiden spielten erst vor kurzem ein bejubeltes Konzert beim Jazzfest München.

Geoff Goodman, an akustischen und elektrischen Gitarren und dem Mandocello, einer achtsaitigen Mandoline, entsprechend der Stellung des Violoncello in der Violinenfamilie, und Fjoralba Turku, die ursprünglich Geige gelernt hat und erst mit 20 Jahren das erste Mal mit Jazz in Berührung kam, haben zusammen ein höchst eigenwilliges Stück Musikterrain entdeckt und beschritten: Vor dem inneren Ohr entsteht eine dunkel leuchtende Exklave von Jazzland, irgendwo im Blue Grass albanischer Berge, vielleicht in einem Nowhere-Palazzo von John Cage. Haiku zwitschernde Vögel, dort. Ein knarrender Schaukelstuhl auf einer Südstaatenveranda. Gedanken an einen verlorenen Bruder im amerikanischen Bürgerkrieg. Traum-Topographie des Klanglandes. Gilt für uns Zwischenmenschen, im politisch Tonlosen der Begriff der Grenze als Trennung, so scheint die musikalische Übertretung des Duos diese Marken verlöschen zu lassen. Und etwas Imaginäres verwaltet sich in lustvoller Melancholie. Schimmernd, zauberhaft, ungreifbar umspielend.

Die CD beginnt mit „At The Middle“, einem von Geoff Goodman vertonten Text von John Cage aus der „Lecture on Nothing“. Ortloser als das Nichts erscheint hier seine behauptete Mitte, dort wo der Mensch die Physik auszuschalten wünschte, um gleichzeitig an einem anderen Ort zu sein – nur um einen Blick zurück zu werfen, wo er denn ist, sei oder abgeblieben ist. Fjoralba Turku singt das mit sicherem Atem auf Tönen absteigender Septimen. Goodman zieht seufzende Dissonanzen herum, Schlieren, in denen sich die Sängerin mit der Sicherheit des Traums bewegt. Musikalischer Hiatus.

Schwierig muss es sein, doch davon hört man nichts in der stillen, schwerelosen Leichtigkeit. Von dort nimmt die Musik der beiden ihren Ausgang, mit Blick auf eine ständig changierende imaginäre Mitte. Purcell, Dowland und Stanislaw Lem dürften das vergnügt aus ihrem Space-Shuttle betrachten. So geht die Tour d´Horizon weiter zu Bossa-artigen Haucheinheiten wie bei „Song Without Words“ und einer Beziehungsnovelle mit Namen „Space Between Us“. „Seitdem wir schlanker sind, stehen wir uns wieder näher“, würde der große Lakoniker Georg Kreisler dazu gesagt haben.

Dann, Zeit für eine Landung: Mit „I´m Through With Love“ folgt ein klassisches Standard, das in seiner befreiten Traurigkeit, swingenden Fatalität, entlassen aus der Liebe, irgendwie tröstlich erscheint. Ein Kopfkissen im November.

„Within You, Without You“ vom Volatilsten der Beatles, des zeitlebens losgelösten George Harrison, vollzieht sich vor dem Hintergrund eines Gitarren-Loops, der hoppelt und pendelt wie ein Perpetuum Mobile vom kosmischen Tanz, dem Tao der Physik. Vielleicht auch nur von Liebeskugeln in Zeiten der Lottozahlen. Nah, so fern, psychische Distanzen.

Doch dann, nach viel somnambulem Flug ereignet sich das Großartige, das die Kunst und all ihre Fertigkeit, das All, den Hauch und die Gleichgültigkeit des Himmels herunterdrückt mit irdischer Gravität. Fjoralba, die weiße Blume, singt in ihrer Muttersprache von der Trauer der Väter, der Völker. „Sa Duhemi Un E Ti“ und „Vals I Lumturis“. Da ist es, das Aufleuchten der imaginären Enklave. Der des Menschen, seiner Provinz. Schöner ist, seit Chet Baker „My Funny Valentine“ gesungen hat, kaum gesungen worden. Selten? Nie? Wir wissen es nicht. Es ist ja eine utopische CD. Die Welt auf einer Scheibe.

Tutu Records. Art of the Duo. At the Middle. Geoff Goodman & Fjoralba Turku. www.jazzrecords.com/tutu

Veröffentlicht am: 13.11.2014

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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