"not in my name" von Dali Touiti im Schwere Reiter

Kosmische Körperszenen

von Michael Wüst

Luana Rossetti, Michele Meloni, Goncalo Cruzinha. Foto: Michael Wüst

In die schwarze Ursuppe der Nacht fällt ein erstes Wort: Held. Einsetzender Groove. Ein zweites, zuerst nicht zu identifizierendes Wort. In seiner dämonisch, elektronisch zerlegten Codierung erkennen wir: Dreck. Dann wurde Licht. Der Tänzer und Choreograf Dali Touiti zeigte im Schwere Reiter „not in my name“.

Ist es eine Gegenwelt, eine Anti-Genesis? Im mächtigen, fast Rave-artigen Sound, gewinnen im Halbdunkel drei Körper langsam Kontur, die hinfort gut über 30 Minuten bis zur ersten Atempause in einen gnadenlosen Strudel gerissen werden. Als wollten sie ihrem Schicksal entrinnen, rennen sie zunächst an, gegen die unsichtbare Wand der Zuschauer, die im sicheren Kultur-Voyeurs-Modus verborgen sind, werden immer wieder wie an unsichtbaren Gummibändern zurückgezogen. Anläufe in Richtung unserer Welt. Doch sofort reißen die unsichtbaren Kräfte die Körper zurück. Das ist auch schon das letzte Mal, dass der menschliche Blick eine Bedeutung in dieser kosmischen Körperszene haben sollte. Für Blicke scheint dann keine Zeit mehr.

Luana Rossetti, Gonçalo Cruzinha und Michele Meloni, suchen vergeblich ein harmonisches Maß in die Bahnen ihres Umlaufens zu bringen. Sie sind magnetisch. Unterliegen in Abstoßung und Anziehung allen möglichen Figuren, sich niemals wiederholenden Formen, dem stochastischen Chaos einer Proto-Ordnung. Kurze Attraktionen zueinander, das Feld dreht sich, die Gruppe fliegt auseinander, um an den Grenzen des Raums zurückgefangen zu werden. Auch eine Frauenstimme, die im zweiten Sound-Track sanft und therapeutisch Worte der Beruhigung spricht, kann den Furor der Turbulenzen nicht stoppen. Eher wirken die Entspannungs-Mantras angesichts des ungebremsten Chaos der drei Elementarteilchen wie ein erster politischer Versuch der Ruhigstellung: „Easy“, flötet beruhigend die Stimme. Es gibt ein Außen, von da sieht man das alles nicht so tragisch. "Easy". Überfliegt das Katastrophengebiet im Helikopter.  Dann ein erstes und einziges Anzeichen, dass das diabolische Durcheinander ein Ende findet. Dieser kleine Moment, als sich die drei zu einer Einheit umarmen. Mit Colin Stetsons Musik scheinen sich die Schleusen der Unterwelt geöffnet zu haben. Es röhrt und brüllt, als wäre ein Urwesen tödlich verletzt. Zorn, Schmerz unter der gerissenen Welt. Und Erschöpfung auf der Oberfläche. Sogar Ruhe. Wie lange mag das halten? Furios, aufreibend! Reine Energie.

Veröffentlicht am: 28.04.2015

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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