Eröffnung von Dance 2015 mit Kaori Ito und Saburo Teshigawara

Das Virus ist angekommen

von Michael Wüst

Asobi. Foto: Chris van der Burght

München zeigt sich als Stadt des modernen Tanzes. In vollbesetzter Muffathalle und gut gefülltem Carl-Orff-Saal führen zwei internationale Festival-Headliner japanischer Herkunft das Münchner Dance 2015 an. Kaori Ito, Regie und Choreografie, mit „Asobi. Adult Game“ und Saburo Teshigawara mit „Landscape“.

 

 

Muffathalle

Zunächst denkt man, der Beleuchter hätte vergessen, das Saallicht ganz zu löschen, Teile des Publikums sind da auf der Tribüne noch angeleuchtet, als der Bühnenhintergrund im sanften Licht erstarkt. Eine teilweise spiegelnde Fläche, teilweise blind, opak, als hätte das Alter das Material korrodiert, oxydiert. Entlang gehen an einem solchen Spiegel scheint Metapher für: man sieht mich, man sieht mich nicht. Metapher für das, was Japaner „Asobi“ nennen, ein erotisches Spiel. Und eben, das Publikum soll sich dort auch entdecken, der Voyeur.

Kaori Ito erscheint nun in den Augen des Voyeurs von rechts in Schwarz mit bleistiftdünnen schwarzen High Heels, entledigt sich mittig eines solchen. Es folgt nun der Humpelschritt des Höhenunterschieds, den man kennt aus Filmen von betrunkenen Femmes fatales, die so, nach und nach sich dekonstruierend, die Horizontale erreichen. Ein erotisches Zitat, herausgenommen aus der klassischen Umgebung. Stoisch, auf und ab stelzend, führt Ito damit das auch später stark betonte harte Beat-, Offbeat-Gefüge ein. One Up, One Down. Im Spiegelgrund, der ehrwürdig patiniert wie aus einer Requisitenkammer schwarzer Romantik wirkt, die Wölkchen von Publikumsköpfen. Die rätselhafte Animateurin geht nun ab nach links und kommt wieder auf der rechten Seite, diesmal mit einem roten High Heel angetan. Steht auf diesem einem Bleistift-Folter-Absatz, streckt das freie Bein gerade nach oben und lässt die freien Zehen in der Luft klimpern und die Publikumswölkchen verabschieden sich prompt. Eine nicht allzu anheimelnde Komik.

Das Asobi-Setting vervollständigt sich, mit Csaba Varga, Jann Gallois und Péter Juhász steht dem heiteren Geschlechterspiel ohne Grenzen nun nichts mehr im Wege. Das Cello wird seiner Mainstream-Rolle der schönen Trauer gerecht, es wechselt mit Bass-Ostinatos, die gefällig treiben (eingespielte Musik: Giullaume Perret, Marybel Dessagnes). Militärisch in Linie angetreten, parallel zum Spiegel, nimmt das Spiel dann Fahrt auf. Und in die strenge Sychronizität der Schritte mischt sich das erste Mal nun ein imponierendes Groove-Element: Im Offbeat passiert ein gemeinsames Rucken der vier Köpfe, einem minimalen Auftakt gleich, enorm kurz und präzise, als hätte der Voyeur nur kurz mit den Wimpern gezuckt. Hier ist ein entscheidendes Element eingefügt: Man tanzt sozusagen live einen Fehler ein, der sich beim zukünftigen Abspielen einer Aufnahme der digitalen Technik zuordnen lassen könnte. Wie ein elektronischer Hiatus, eine Lücke des Stillstands, gefolgt von einem korrigierenden Rücklauf. Ein digitales Virus ist in den menschlichen Körpern angekommen.

Ihre Live-Situation nimmt bereits ihre Aufzeichnung vorweg. Das erotische Setting kursiert in einer Zeitschleife, einer Art Möbiusband, das vom Anfang sich entfernend sich dort umgehend wieder einfindet. Kaori Ito, ganz diabolische Maitresse de Plaisir steuert mehr und mehr das Drama von Paaren und Paarungen. Die Männer zeigen perfektes Ballett, sie balzen, protzen, buhlen, erleiden aber immer wieder kurz durchgeschüttelt Rückspulungen, Resets in schönsten Grand Jetés. Das sind köstlich herrliche, alte Aufnahmen aus der großen Zeit des klassischen Balletts, nur leider mit leichten Fehlern der elektronischen Restaurierung! Das ist raffiniert und präzise. Die Gegenwart in Echtzeit als Dokument der Vergangenheit zu präsentieren. Memento!

Carl-Orff-Saal

Seburo Teshigawara, am Flügel: Francesco Tristano. Foto: Toshi Yamaguchi

Ganz anders die Gruppe „Karas“ um Meister Saburo Teshigawara im Carl Orff-Saal. Am Flügel sitzt der Jungstar Francesco Tristano. Ein Grenzgänger zwischen Klassik und Clubbing, heißt es. Der Mangel an Zukunft bringt offensichtlich immer wieder neue Beschwörungsformeln hervor. In der Tat schien nun „Landscape“, vervollständigt zum Dreigestirn der Ausnahmestars mit Teshigawaras langjähriger Mitarbeiterin Rihoko Sato, tatsächlich tief in versunkene Moderne auszugreifen. Aber so wie Slavoi Zizek in seinem Buch „Der zweite Tod der Oper“ eben dieser Gattung die Unsterblichkeit eines Untoten attestiert, auch hier: Strenge, leere Bühne, grafische Lichtführung und zwei Tänzer, die Bachs „Wohltemperiertes Klavier“, „Goldberg-Variationen“, John Cages „In A Landscape“, nebst eigener Kompositionen von Tristano, in Höchstform in Körper umsetzen. Teshigawara markiert mit ausgezirkelten Armbewegungen schnellere Stücke, antizipiert meisterlich minimal die kritischen rhythmischen Momente, um die harmonische Bewegung weich zu verschränken. Sein Körper notiert mit dem ganzen Reichtum eines in die Moderne des 20. Jahrhunderts eingeschmolzenen Ausdrucksreservoirs Asiens und Europas. Rihoko Sato gelingen bei den ruhigen Stücken absolut traumhafte Seelenbewegungen des Schlafs in Musik. Aufsteigende Tonlinien hin lassen ihre Arme in die Höhe steigen, im Erreichen des Finaltons ziehen die Fingerspitzen ihren Körper in die Höhe der Auflösung. Der Erlösung. Francesco Tristano ist sicher einer der besten Bachpianisten seiner Zeit. Immer wieder provoziert er den Flügel über Schwebungen ins Singen zu geraten. Bewegungen, Licht und Klänge entwickeln ihre größte Kraft im Vergehen. Und erfüllen zum Abschied den Raum.

Veröffentlicht am: 11.05.2015

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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