"Sein oder Nichtsein" nach dem Lubitsch-Film am Münchner Volkstheater

Lachen bis zum bitteren Ende

von Michael Weiser

"Sein oder Nichtsein": Pascal Fligg, Mara Widmann, Leon Pfannenmüller, Oliver Möller, Magdalena Wiedenhofer. Foto: Arno Declair

Lockerer Auftakt und tragisches Ende am Volkstheater in München: Mit "Sein oder Nichtsein" nach dem Film von Ernst Lubitsch startete das Haus an der Brienner Straße in die neue Saison. Mina Salehpour setzt in ihrer Inszenierung auf Gags und Überzeichnung. Kurzweilig, komisch, in der Premiere noch mit Luft nach oben.

Man kann sich diese Truppe von Schauspielern im übertragenen Sinne auch als Boat People vorstellen. Denn eigentlich sitzen die Mimen alle in einem Boot, und das in stürmischen Zeiten. Nicht jeder wird die Flucht schaffen. Und auch die, die übrig geblieben sind, werden nicht wissen, ob sie auch ankommen im gelobten Land. Ganz am Ende dreht „Sein oder Nichtsein“ am Münchner Volkstheater ins Tragische, im Finale eines – eigentlich klar bei dieser Vorlage nach dem berühmten Film von Ernst Lubitsch - ziemlich vom Klamauk beherrschten Abends.

Wie's der Titel sagt: Es geht um den Hamlet-Dialog, aber es geht auch ganz wörtlich um Sein oder Nichtsein. Schauspieler, die im von NS-Deutschland besetzten Polen nicht um die Gunst des Publikums spielen, sondern um ihr Leben. Und es macht keinen Unterschied, ob man aus Eitelkeit oder Patriotismus spielt, eine große Figur aus Shakespeares Werken oder einen Clown. Genaugenommen ist noch nicht mal sicher, wer da der wahre Schauspieler ist. Ist nicht auch das ganze Nazi-Gedöns nur eine Inszenierung?

Regisseurin Mina Salehpour sowie ihre Ausstatter Jorge Enrique Caro (Bühne) und Maria Anderski (Kostüme) tun gar nicht mal so, als würden sie die Nazis ernst nehmen. Sie überzeichnen grell, kombinieren schneidige Uniformjacken mit albernen Schlabberhosen. Das Hakenkreuz-Logo verfremden sie ähnlich wie  Charlie Chaplin in seinem „Großen Diktator“, das schwarze Kreuz im weißen Kreis auf rotem Grund wird von zwei gekreuzten Hanteln gebildet: Verweis auf den Körperkult der Nazis, der mit einem muskelstarrenden Reichsadler überm Kaminsims nochmals karikiert wird. NS-Statthalter Erhardt ist vollkommen dem Fitnesswahn verfallen, eine Spielart von Dummheit, die es den polnischen Schauspielern leicht macht, den SS-Schergen hereinzulegen.  Salehpour nimmt das Bühnenbild nur als Rahmen; zwischen den verschiedenen Szenen müssen die Zuschauer im Geiste schon selber wechseln: Trotz der reichhaltigen Ausstattung ist schon ein bisschen Fähigkeit zum Kopfkino vonnöten.

Der Gruppenführer hat Absichten: Christoph Müller, Mara Widmann, Jakob Geßner. Foto: Arno Declair

Über die Gewalttätigkeit der Nazis, ihre Mordlust, ist viel geschrieben worden. Also geht Salehpour an die Tiefenschichten. Und legt die kraftmeierische Männerbündlerei bloß, die das sumpfige Biotop für so viele Gewaltregimes bildet. Das gelingt wegen zwei der herausragenden Schauspieler dieses Abends. Christoph Müller als tumber, mörderisch-jovialer Gruppenführer Erhardt und Jakob Geßner als aalglatter, stiller Sturmführer Schulz harmonieren hervorragend. Der eine hat die Macht. Doch noch gefährlicher wirkt der Subalterne. Da haben Salehpour und ihre Schauspieler genau hingeschaut.

Müller und Geßner halten Tempo und Spannung, was man nicht vom gesamten Ensemble sagen kann. Komische Qualitäten haben die jungen Schauspieler des Volkstheaters, nicht immer aber die volle Konzentration für einen Premierenabend. So knirschte es ab und an in einer Komödie, die voll auf Screwball-Tempo geschrieben ist. Man kann es auch so sagen: Nicht jeder Ball, der da geworfen wird, wird auch gefangen. Am stärksten sind die Schauspieler dort, wo sie die Schwächen ihres Berufsstandes karikieren. Eitelkeit zum Beispiel; wenn Pascal Fligg als Josef Tura beim Hamlet-Monolog mit Augenaufschlag und bedeutungsschwangerer Pause sich das Kaliber eines Großschauspielers erschwindeln will, wird’s wirklich komisch. Da merkt man, wo dieser kurzweilige Abend hingehen wird, wenn ein, zwei weitere Aufführungen über die Bühne gegangen sind.

Im Zeichen des Muskel-Adlers: "Sein oder Nichtsein" am Volkstheater. Foto: Arno Declair

Alle haben sie ihre eigenen Karriereträume. Oliver Müller ist Grünberg, der am Ende doch seinen Shylock sprechen darf – ein ernster Einsatz in einer Schmierenkomödie, den der Grünberg, anders als in der Filmvorlage von Lubitsch, nicht überlebt. Das gibt zu denken: Der einzige, der die schlichte Wahrheit des Menschseins ausspricht (wie man nach diesem Monolog Shakespeare den Vorwurf machen kann, er habe im „Kaufmann von Venedig“ eine Juden-Karikatur abliefern wollen, bleibt vollkommen unverständlich), wird kurzerhand über den Haufen geschossen. Ein Opfer allerdings, das den Rest der Schauspieler-Compagnie nicht über Gebühr in Trauer zu stürzen scheint. Man ist halt doch mit sich beschäftigt.

Ein Happy End gibt es bei dieser Inszenierung übrigens auch für den Rest der Truppe nicht. Sie stranden. Aussicht ungewiss. So viel Bezug zur Aktualität, so viel Ernst kann man voraussehen und verlangen. In Zeiten wie diesen.

"Sein oder Nichtsein", Münchner Volkstheater, Regie: Mina Salehpour, Nächste Termine: 11., 28. Oktober, 4. November 2015. Mit: Pascal Fligg, Mara Widmann, Magdalena Wiedenhöfer, Mehmet Sözer, Leon Pfannenmüller, Oliver Möller, Jonathan Müller, Miguel Abrantes Ostrowski, Christoph Müller, Jakob Geßner.

Veröffentlicht am: 03.10.2015

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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