Uwe Eric Laufenbergs Parsifal in Bayreuth

Viel hilft viel auf der Nahost-Expedition

von Christa Sigg

Ryan McKinny (Amfortas), Foto: Enrico Nawrath / Rechte: Bayreuther Festspiele

Am Ende löst sich alles auf. Amfortas, Kundry – überdimensional wird ihr sieches Antlitz für einen kurzen Moment auf die Bühne geblendet, um sogleich im Diffusen zu verschwinden. Selbst die Totenmaske Richard Wagners erscheint in dieser Trias der von Leid und Verdammnis Befreiten. Eine Spur Überheblichkeit darf man da ruhig unterstellen, Regisseur Uwe Eric Laufenberg, der vor anderthalb Jahren für den geschassten Jonathan Meese eingesprungen ist, wollte den Parsifal nach all dem betörenden Ballast der letzten Produktionen aufs Eigentliche zurückführen: den religiösen Gehalt. Doch erlöst wurden weder das Bühnenweihfestspiel, noch der Komponist.

Dabei hat in Bayreuth schon lange keiner mehr so sehr am Text entlang inszeniert. Bis hin zum bluternst genommenen Zeremoniell der Gralsenthüllung am Ende des ersten Aufzugs. Aber mit dünnem Messwein kommt man im Nahen Osten nicht weiter. Dorthin hatte Laufenberg die Gralsburg verlegt, konkret nach Mossul in den Norden des Irak, wo die christlichen Gralsritter eine klösterliche Enklave in einem von Terrormilizen gebeutelten Gebiet bilden. Soldaten sind allgegenwärtig. Bombeneinschläge gehören zum düsteren Alltag, entsprechend havariert ist die Kirche, die sich bereits im Vorspiel zum zeitweisen Flüchtlingslager öffnet.

Wir sind mitten in der Gegenwart. Und durch die Anschläge der letzten Zeit und die extrem verschärften Sicherheitsmaßnahmen am Grünen Hügel hat das Geschehen auf der Bühne etwas Beklemmendes, auch eine neue Brisanz erhalten. Übrigens unterstrichen durch das Fehlen des kompletten bayerischen Kabinetts – es gab schon verständlichere Absenzen. Gerade jetzt hinter Kunst und Künstlern zu stehen, wäre das sinnvollere Zeichen gewesen.

Doch Wagners letztes Werk ist eben auch schwerer Stoff. Christoph Schlingensief hat sich in eine Bilderflut samt Voodoo-Zauber gerettet, der versierte Stefan Herheim, der mit dem Parsifal deutsche Geschichte in ihren teuflischsten Versuchungen aufs Tapet brachte, wusste erst recht um die Macht der opulenten Optik. Die täuscht immer noch am besten über Ungereimtheiten hinweg. Laufenberg will sich aber partout am Katholizismus abarbeiten und greift mit seinem Bühnenbildner Gisbert Jäkel dann auch zuweilen wahllos in den Fundus der Sakristei.

Vor allem Kruzifixe haben es den beiden angetan. Eins im Großformat wird von den mönchischen Rittern ziemlich planlos auf- und abgebaut. Und der aus der Gralsgemeinschaft verstoßene Neu-Derwisch Klingsor wohnt mit seinem Gebetsteppich in einem regelrechten Kreuzkabinett. Die Kollektion hält in dieser wilden Häufung mit jedem Diözesanmuseum mit. Viel hilft eben auch viel, und für besondere Notfälle gibt’s dann noch ein Exemplar mit Dildo. Oder der gar nicht magische Zauberer (Gerd Grochowski fehlt der böseFuror) malträtiert sich zwischendurch im Stil mittelalterlicher Flagellanten.

Von seinen Blumenmädchen hat er ja nichts: Die warten im fein gekachelten Hamam auf ihr Objekt der Begierde, entledigen sich ihrer Hidschabs, Burkas oder Tschadors und geben die aufreizende Bauchtanztruppe, die den armen Parsifal ins Becken taucht. Klatschnass muss Klaus Florian Vogt erst mal zum Umziehen, während Kundry Elena Pankratova im Las-Vegas-Glitzerfummel (Kostüme Jessica Karge) ihren mütterlichen Balzgesang frei nach Sigmund Freud ins Nirwana schickt. Das ist einer der gar nicht so raren Aussetzer einer Regie, die oft genug mit dem Personal nichts anzufangen weiß. Und weil alles überdeutlich erklärt wird, muss sich ein stummer Gralskönig an seinem unglückseligen alten Lock-Vogel zu schaffen machen. So war das damals, als er sich im Rausch der Hormone vergaß – und bis dato blutig dafür bezahlt.

Nicht etwa, weil die Wunde sich nicht schließt und der ersehnte Tod mit jeder Schau des Grals in unbestimmte Ferne rückt. Vielmehr mündet das für die Ritter zugleich als Lebenselixir notwendige Ritual in eine gnadenlose Passion. Mit Dornenkrone und Lendenschurz steht Amfortas (Ryan McKinny leidet aus jeder Pore) da wie der gegeißelte Heiland. Blut muss er lassen, deshalb wird kräftig in seiner Wunde gestochert – wie geht das nur mit der Tierliebe der Brüder zusammen, die sich über einen toten Schwan echauffieren? Und wenn der rote Saft alsbald in Strömen fließt, eilen die Brüder mit Bechern zu diesem grausigen Abendmahl. Ohne jedes Mitleid, das im Parsifal doch von so zentraler Bedeutung ist.

Gerd Grochowski (Klingsor), Klaus Florian Vogt (Parsifal). Foto: Enrico Nawrath / Rechte: Bayreuther Festspiele

Aber sind das neben den Glaubenskämpfen nun die weiteren Übel und Redundanzen der Religionen, von denen der Regisseur im Vorfeld sprach? Und liegt die Lösung in einer Abkehr von jeder Konfession? So scheint es zumindest, wenn Christen, Juden, Muslime gen Ende des dritten Aufzugs Kreuze, Kelche, Leuchter, Bibeln und Korane wie Tand in Titurels Sarg schleudern. Friede, Freude, Quarkkuchen. Das ist so naiv wie Parsifals Stolpern durch die unbekannte, tückische Welt, die ihn zu allem Überfluss als IS-Kämpfer in die von der Wüste zum Dschungel mutierte Karfreitagsaue spuckt. Er legt die Waffen ab, keine Sorge, lässt sich vom völlig ergrauten Hutzelweibchen Kundry die Füße waschen, während im Hintergrund nackte Mädchen unterm Wasserfall in paradiesischer Unschuld spielen.

Ja, der Parsifal ist ein verquastes Stück, ein Patchwork-Teppich aus Philosophie, Tiefenpsychologie und Religionskonstrukt, ein großes Rätsel, das sich jeder Lösung verweigert und sein Publikum mindestens ratlos zurück lässt. Kein Wunder, dass sich Regisseure ihren eigenen Kult kreieren. Doch dann gibt es eben auch diese unfassbar schöne, berührende Musik, diese vollendete und zugleich weit in die Zukunft greifende Partitur. Sie ist ein lebenslanger Gipfel für jeden Dirigenten, die Herausragenden ihrer Zunft entdecken für ihr Publikum immer wieder neue Facetten und Köstlichkeiten. Schade, dass genau so ein Meister erst durch den Ausstieg der ersten Wahl – Andris Nelsons – gerufen wurde. Und ein Glück: Der 73-jährige Hartmut Haenchen ist in mehrerlei Hinsicht die Rettung dieser Nahost-Expedition. Zügig und klar, ja fast nüchtern-säkular geht dieser Notentext-Exeget vor, Transparenz ist seine Stärke. Auch das sensible Feilen am Ton, der schon mal fluten und mächtig auftrumpfen darf, wenn die Gralsritter ihren Ritus einfordern, und doch an keiner Stelle überwältigen will.

Nach nur zwei Proben ist das Ergebnis eine Sensation. Zumal die Kulisse ihre Tücken hat und den Sängern durchaus zusetzt. Aber Haenchen ist stets um Balance bemüht, und die Hauptpartien sind grandios besetzt. Klaus Florian Vogt mag mit seinem hellen, knabenhaft reinen Timbre den perfekten Lohengrin verkörpern, als Parsifal ist er inzwischen genauso richtig am Platz und dringt ohne hörbare Anstrengung durch jede Klangwoge. Neben einer Elena Pankratova muss man sich sowieso behaupten. Ihr verschwenderischer, herrlich fokusierter Mezzo gibt der Kundry alles, was dieses schillernde Wesen braucht. Hure, Heilige, Mutter, alles hat diese Frau in der Stimme.

Und dann muss man schon eine Weile überlegen, um sich an einen Gurnemanz von dieser Qualität zu erinnern. Georg Zeppenfeld scheint in der Form seines Lebens, noch in den dunkelsten, dröhnenden Basstiefen ist diese Stimme wohltönend, und man versteht jedes einzelne Wort. Hat die Gralserzählung wirklich Längen? Man lauscht gefesselt, und vergisst die Ungereimtheiten dieser Inszenierung. Die handwerklichen Patzer, die eingeworfenen interessanten Gedanken, die nicht weiter verfolgt werden. Dieser Parsifal ist definitiv ein Fall für die Hügel-Werk- und Wahn-Statt.

 

Veröffentlicht am: 18.08.2016

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