Die weltberühmten Krippen im Bayerischen Nationalmuseum

Wunderwelten der Frömmigkeit

von Christa Sigg

Max Schmederer. Foto: Bayerisches Nationalmuseum

Ein bisschen schaut er aus wie Emil Jannings im „Blauen Engel“. Gediegener natürlich, das Haar nicht so wirr, Max Schmederer (1854-1917) war schließlich ein angesehener Bankier aus einer mindestens so angesehenen Münchner Familie – der Vater hatte zusammen mit dem Bruder die Paulaner-Brauerei geerbt. Das verschaffte dem kränkelnden Junior ein beträchtliches Polster, und so konnte er sich 1897 mit nur 43 Jahren von den Geschäften zurückziehen, um seiner großen Leidenschaft zu frönen: den Krippen.

Sie dürften zu den wenigen Freuden des ernsten Einzelgängers gehört haben. Wobei Schmederer ziemlich wild, aber keineswegs ohne Plan gesammelt hat. Und die Zeit war ideal für einen, der Wert auf Qualität legte. Nach der Säkularisation fanden die kostbaren Klosterkrippen zwar in Bürgerhäusern Asyl – oft inkognito, dieser Ausdruck naiver Volksfrömmigkeit passte nicht zur staatlich verordneten Aufklärung. Doch im späten 19. Jahrhundert hat das Interesse an der barocken Tradition auch in vielen  Familien deutlich nachgelassen. Die heute hoch gehandelten Figuren gingen damals für ein paar Gulden her, und manchmal bekam Schmederer gleich noch ein, zwei Viecher obendrein. Im Nachhinein wundert man sich, die Münchner Schnitzer waren versierte Kunsthandwerker, Ludwigs Schafe oder die kämpfenden Stiere von Meister Niklas sind fabelhafte naturalistische Tierdarstellungen.

Straße in Neapel, Teilansicht. Verschiedene Meister Neapel. Mitte oder 2. Hälfte 18 Jahrhundert. Bayerisches Nationalmuseum

Man übersieht das gerne zwischen den glänzenden Engeln und putzigen Jesuskindern im Souterrain des Bayerischen Nationalmuseums. Dank Schmederer besitzt das Haus die umfangreichste, künstlerisch wertvollste Krippensammlungen weltweit. Und wenn etwa die Neapolitaner ihre besten Stücke sehen wollen, müssen sie tatsächlich nach München an die Prinzregentenstraße fahren.

Denn auch im italienischen Süden, wo sich der „Commerzienrath“ regelmäßig erholte, ging er auf Pirsch. Und Neapel war ein Dorado, im 18. Jahrhundert gehörte es dort zum guten Ton, ein Riesentrumm Krippe zu präsentieren. Unter Vizekönig Karl III. wurde das Aufstellen und Arrangieren fast zum Staatsakt, der Bourbone hatte sogar einen eigenen Krippenregisseur. Und schnell begann unter den Adligen ein Wettstreit um die größte, prachtvollste, kurioseste Krippe.

Die besten Künstler wurden aktiv, und noch heute ist man fasziniert von Schweinehälften und Fischkörben, feschen Marktweibern in genau nachempfundenen Trachten – die Stoffe mit originalen Miniaturmustern kamen aus speziellen Webereien – oder ausgebufften Schankwirten und ausgelassenen Weintrinkern. Das heilige Geschehen? Ist zwischen gerupften Hühnern und Dudelsackbläsern auf einem Hausaltar versteckt. In den Palazzi der Oberen delektierte man sich lieber am „pittoresken“ einfachen Volk.

Im luxuriösesten Exponat der Sammlung thronen Maria und Joseph allerdings wie die noblen Auftraggeber im Marmorpalast – Schmederer ließ sich bei der Architektur sichtbar von Paolo Veroneses „Hochzeit zu Kana“ inspirieren. Die heilige Familie hat Giuseppe Sammartino, der Star unter den Modelleuren geschaffen, entsprechend erlesen ist das Gesicht der Gottesmutter. Doch auch in dieser so genannten „Palastkrippe“ wird der Blick vom dramatisch inszenierten Hofstaat der drei Könige aus dem Morgenland abgelenkt. Da gibt es Orientalen in prunkvollen Gewändern, Kamele und sich aufbäumende Rösser, Sklavinnen in zartestem Tüll und dann eine fast den Rahmen sprengende Janitscharenkapelle mit exakt nachgebildeten, spielbaren Kleinst-Instrumenten. Solchen Aufwand durfte sich wahrscheinlich nur Karl III. erlauben, jedenfalls scheint das Gros der Figuren aus seinem Besitz zu kommen.

Phantasiebild von Jerusalem. Aufbruch der Heiligen Drei Könige nach ihrem Besuch bei Herodes. Familie Probst und Franz Xaver Pendl (Bozen 1825-1860). Bayerisches Nationalmuseum

Schmederer war überall auf der Suche. Auf dem Weg in den Süden erstand er etwa in Rovereto die wirklich ungewöhnliche Krippe des Bozener Gerbermeisters Karl Moser, der mit kühn kombinierten Architekturzitaten aus ganz Europa ein „himmlisches Jerusalem“ (1825-1860) gebaut hatte. Auch das ist so ein Höhepunkt des Hauses. Oder die Tiroler Hirten, die in typischer Tracht mit Wadenstutzen und offenen Joppen einem herrlich scheppsen, wahrscheinlich heilstrunkenen Engelstrio begegnen (Mitte 18. Jahrhundert). Und die Flucht nach Ägypten, die von exotischen Tieren und Fabelwesen begleitet wird (München, frühes 19. Jahrhundert).

Die Ausstellung zeigt aber auch, dass mit den einfachsten Materialien manchmal die tollsten Szenarien entstanden sind. An langen Winterabenden schufen die Leute aus Holzresten, Pappmaché, geschickt umwickelten Drähten und bemaltem Papier regelrechte Wunderwelten der Frömmigkeit. Überhaupt stieß die Weihnachtsgeschichte mit all ihren orientalischen Zutaten die Fantasie mächtig an. Insofern kann man durchaus verstehen, dass die Krippen für den von Bilanzen gelangweilten Max Schmederer großes Kino waren. Nur blaue Engel gab’s seinerzeit nicht.

Bayerisches Nationalmuseum München, Prinzregentenstraße 3, bis Ende Januar täglich außer Montag von 10 bis 17, donnerstags bis 20 Uhr, an Silvester geschlossen.

Veröffentlicht am: 24.12.2016

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