Gastspiel beim Resi in der Hochschule für Musik und Theater

John Malkovich und die Erotik der Macht

von Michael Weiser

Verbales Kräftemessen: John Malkovich als Dikator, Sophie von Kessel als Reporterin Caroline. Foto: Jann Wilken

Diktatur-Show im NS-Bau oder eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit einem ernsten Thema? Das Stück "Just Call me God" ist eine Gratwanderung, die nur aufgrund der beiden grandiosen Hauptdarsteller gelingt. Wir sagen nur so viel: John Malkovich -  er war es wirklich im Konzertsaal der Hochschule.

Das nennt man dann wohl: Aus der Not eine glückliche Fügung machen. Weil im Residenztheater keine Orgel steht – zumindest nicht eine solche! -, wich das Staatsschauspiel für diese bemerkenswerte Produktion in die Hochschule für Musik aus. In den früheren Führerbau mitten im Parteiviertel der NSDAP also, das Protzgebäude, in dem Hitler die Welt ein letztes Mal täuschte: Die Münchner Verträge wurden 1938 dort unterzeichnet.

Und nun also Theater: „Just call me God“, eine gemeinsame Produktion von Michael Sturminger, Martin Haselböck und John Malkovich. Jawoll, der berühmte John Malkovich, in München, als Diktator Satur Diman Cha, an einem Schauplatz der NS-Diktatur. Ein kontaminierter Ort für ein vergiftetes Thema, der sich auch deswegen anbietet, weil der in den 50er Jahren eingebaute Konzertsaal den perfekten Rahmen abgibt. Der letzte Akt von Diman Chas Herkunft spielt sich in schließlich einem Konzertsaal ab. Das 25. Jahr seiner Herrschaft hatte er dort feierlich begehen wollen– doch dann marschierten Invasoren ein.

Es sind US-Truppen, so sieht es aus, sie drängen der Entourage Diman Chas hinterher, doch die Jagd auf den Diktator ist gerade ins Stocken geraten, nun sieht sich eine Abteilung in seinem Wüstenpalast um. Und entdeckt staunend einen unterirdischen Konzertsaal. Der Feldkaplan (Martin Hasalböck) setzt sich an die Orgel und beginnt zu spielen, die Toccata in D-moll, den Walkürenritt, bis Schüsse der spontanen Party ein Ende machen: Der Diktator höchstselbst überrascht die Eindringlinge. Verkleidet als Putzfrau, zieht er aus einem Eimer die M-16 und ballert die Soldaten über den Haufen.

Es überleben: der Organist (man schießt nicht auf den Mann am Klavier). Und eine Reporterin. Der Diktator schält sich aus Strumpfhosen und Kleid und kleidet sich in eine Uniform. Warum soll er nun die beiden Überlebenden schonen? Für den Organisten gäbe es gute Gründe, so könnte Diman Cha endlich mal die Akkustik in seinem Konzertsaal ausprobieren. Aber die TV-Reporterin? Sie muss um ihr Leben kämpfen. Sie tut es. Mit dem guten Argument, dass auch ein abgehalfteter Diktator der Welt etwas zu sagen haben könnte.

Die Handlung ist einigermaßen krude, die verwackelten griseligen Bilder, die links und rechts der Orgel über die Leinwand flimmern, erinnern gleichwohl an die Aufnahmen amerikanischer Soldaten in Saddams Palästen. In den Diktator Satur Diman Cha sind gleich mehrere Figuren eingeflossen. Er beweist clownesken Charme, Jähzorn, Menschenverachtung, man denkt an Typen wie Mao, Idi Amin oder Gaddafi. Das Stück ist erkennbar John Malkovich auf den Leib geschrieben, der in jeder Geste, in jeder kleinen Mimik brilliert – und eines überzeugend zeigt: dass die Macht eines Alleinherrschers auf Charisma beruht. Diese Ausstrahlung – ja, die verbreitet Malkovich in jeder Sekunde. Wir erfahren wirklich nichts neues über Diktatoren, nichts was nicht hinreichend bekannt gewesen wäre an Grausamkeit, Zynismus und Größenwahn. Aber – wir erleben die Erotik der Macht.

Das Stück wurde geschaffen für Malkovich, es lebt durch ihn. Allerdings nicht alleine durch ihn. Sophie von Kessel als Reporterin stiehlt der Größe natürlich nicht die Schau. Aber sie bewegt sich auf Augenhöhe. So wird aus einem Abend, der wie zusammenmontiert wirkt aus Doku-Elementen, dem Stück „Interview“ von Theo van Gogh und Vincent Price an der Orgel ein Ereignis.

Über diese große Schauspielkunst der beiden Protagonisten hinaus gibt es wenig Erkenntnisgewinn. Diktatoren sind böse, manchmal arge Clowns, sie verachten die Menschheit, sie lieben die Macht, und sie bleiben am ehesten im Besitze derselben, wenn die Weltordnungshüter hinreichend von ihrem Nutzen überzeugt sind. Wie gesagt, das konnte man sich schon zuvor denken.

Man verlässt den alten NS-Bau, den Schauplatz der Münchner Verhandlungen. Es bleibt: das letzte Bild, mit der Leiche des Diman Cha, fernsehwirksam eingefangen. Er hat seinem Leben mit einem Schuss durch den Kopf ein Ende gesetzt. Wieder ein Schurke weniger. Und doch keine Beruhigung. „Friede für unsere Zeit!“ Das wird wohl auch diesmal nicht wahr, 80 Jahre nach Chamberlains Abreise aus München.

Veröffentlicht am: 15.04.2017

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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