Das 9. Klangfest im Gasteig

Großartige Zwiderwurzn im Kulturtempel

von Michael Wüst

Taming the Shrew - komplett unbezähmbar. Foto: Michael Wüst

Das neunte Klangfest, möglicherweise zum vorletzten Mal am angestammten Platz an der Rosenheimer Straße 5 vor dem Umzug des Gasteigs in das Interimsquartier an der Hans-Preißinger-Straße 8, präsentierte wiederum eindrucksvoll die Leistungsfähigkeit bayerischer Musikfirmen. Haidhausen ist hier wie jedes Jahr an Pfingsten eine Messe wert.

Der Ansturm der letzten beiden Jahre, wo man im Schnitt von 13.000 Besucher schätzte, hatte auch heuer wieder die Organisatoren der VUT Süd (Verband unabhängiger Musikunternehmen e.V.) und die Sicherheitsdienste des Gasteig dazu gebracht, nach Lösungen zu suchen, wie mit Andrang umzugehen sei, wie es den Besuchern ermöglicht werden könne, ohne langes Anstehen in die drei Konzertsäle zu gelangen. Und das, obwohl bei 32 Bands auf vier Bühnen, inklusive der zusätzlichen Open-Air-Bühne, sich jeder ohnehin seine Schwerpunkte aussucht. Trotzdem ist der Kleine Konzertsaal dem Ansturm immer am meisten ausgeliefert, was den Durchgang zum Carl-Orff-Saal neben den Ständen des CD-Salons erschwert. Heuer wurden die Ströme in Bewegung gehalten mit der auferlegten Abholung von Bändeln, die jeweils eine Stunde vor Konzertbeginn beim Ticketschalter zu besorgen waren.

Leicht New Romantic angehaucht: Endfield. Foto: Michael Wüst

Manche hatten sich den ganzen Unterarm mit den vierfarbigen Streifen bestückt, was für das Einlasspersonal dann wieder ein Problem war, das richtige Bändel mit der richtigen Uhrzeit zu entdecken und mit Einlass-Ticker zu bestätigen. Alles nicht so einfach. Aber es ist für den Gasteig als Kulturtempel für alle Bürger schon eine fantastische Werbung, wenn der Carl-Orff-Saal an einem Tag achtmal "ausverkauft" ist, Kleiner Konzertsaal und Black Box sich kaum retten können und die Besucher jeden Alters und aller Schichten sich vor der Open-Air-Bühne stauen. Und das, obwohl ihro Eisheiligen es heuer nicht so wohl gemeint haben. Von der Kulturvollzugsanstalt spricht heute keiner mehr.

Um 15 Uhr, da war's noch trocken, da betrat ein bärtiger Hobo mit Lemmy-Hat die Bühne. Thorsten Rock, der The Legendary 2014 in München gegründet hat und zeitweise in der Rock-Hauptstadt Seattle in der Grunge-Band Malfunkshun gespielt hatte, macht nicht lange rum. "Into The Night" von der CD " Let's get a little high" eröffnet mit einem klassischen, schweren, Blues-Rock-Riff,  dem er seine mächtige Stimme hinterher schickt. Ganz amerikanisch - Z Z Top-, Bad-Company-Feeling. Das geht immer ordentlich in die Beine, wenn es so lässig und so straight gespielt ist. Moderator Jürgen Jung fragte ihn später in der Medien-Lounge, ob das Stoner-Rock sei und ob der Titel "Lets get high...", ob das etwas mit Drogen zu tun habe. Weder noch, Stoner-Rock sei ja eher sowas wie Fu Manchu und mit den Etiketten hat er sowieso nichts am Hut. Und mit Etikette natürlich auch nicht.

The Legendary, fetter Blues Rock. Foto: Michael Wüst

Ist wohl eher so ein Blueshund, der seinen Dreck aus dem Nabel in der Pfeife raucht. Der hat Credibility, da können manche Rapper neidisch werden. Dazu im Kleinen Konzertsaal gleich ein absoluter Kontrast: Café Voyage sind Maria Friedrich (Cello), Klemens Jakisch (Gitarre) und Günter Renner (Gitarre, Bluesharp, Ukulele, Perkussion). Alle drei singen. Die Texte stammen hauptsächlich von Günter Renner. So etwas wie bayerische Weltmusik. Die Gruppe Fei Scho macht das ja auch ganz toll. Wie der Bandname schon suggeriert, man reist - nicht nur textlich in die Länder, sondern in die Kulturen, in deren Musiken. Man berührt Folk und Jazz und Klassik, Chanson und Bänkelgesang. Die Schreiber der Ankündigungszunft sind begeistert von Zwischentönen und dem poetischen Querdenken, das auch mal fetzig daher kommen kann, dann wieder versponnen. Lassen Sie sich nicht abhalten, die drei sind stilsichere fahrende Musikanten, sie schenken ihren Zuhörern die Freundschaft der Weltsprache Musik, so wie sie mehr in den Tavernen zu finden ist.

 

Daniela Liebl von Taming the Shrew. Foto: Michael Wüst

Doch zurück zur Open-Air-Bühne und gleich von den Socken. Taming the Shrew mit der Sängerin Daniela Liebl, die die Bühne unglaublich beherrscht, die ihre Umgebung elektrifiziert. Das zarte Mädchen mit den roten Haaren im Hippiekleidchen erfährt den Beat, als hätte jedesmal der Blitz in sie eingeschlagen. Kurze Ansage mit schwer niederbayerischem Akzent. Wieder so eine tolle Band aus Regensburg! "Heartbeatspoetry" heißt der Einstieg ins CD-Business und bedeutet einen ersten beachtlichen Erfolg, nicht nur in der heimatlichen "Mälze". Mit Pristine, der Psychedelic Blues-Rock-Band, sind sie bereits als Support in mehreren Städten unterwegs. Als Psychedelic wird auch ihre Musik, mit Wurzeln in den 60er und 70er Jahren bezeichnet. Große Arrangements, lange Intros, freie Teile, Jamparts, überhaupt epische Stücke.

Jeder Beat wie ein Blitz: Taming the Shrew. Foto: Michael Wüst

Norbert Staudte an den Keyboards und sonst auch an der Hammond-Orgel, versetzt uns in die Zeiten der Valentine Suite. Und Daniela Liebl, die Unbezähmbare -"The Taming of the Shrew" ist der englische Titel von "Der Widerspenstigen Zähmung" von W. Shakespeare - erinnert uns an Savage Rose, Stone the Crow und natürlich muss man auch an Janis denken. Von dieser rothaarigen Zwiderwurzn werden wir noch öfter hören! Großartig!

Zurück in die Black Box, wo Bernie Maisberger, bekannt auch durch die Band Irxn, mit MUC 3 einen digital minimalistischen Stil gewählt hat.

Muc 3 mit Bernie Maisberger, knochentrocken. Foto: Michael Wüst

"So ein schöner Stern, sieht jeder gern, so ein schöner Stern, der leuchtet: Super - One Two". Keyboard, Gitarre, PC. Da da da. Kühle Ironie mit gepflegtem Bewegungsautismus. Größer kann auch diesmal der Kontrast zum vorherigen Woodstock-Flash-Back nicht sein. Zeit für den Carl-Orff-Saal. Zweimal hintereinander werden wir dort Projekte mit dem derzeit angesagten Saxofonisten Matthieu Bordenave erleben. Grande Angle und Dine Doneff. Bei Grande Angle, wo es um Synästhesien zwischen Farben, Tönen und Klängen geht, musste für Peter O´Mara Philipp Schiepeck, der auch bei Verworner-Krause-Kammerorchester spielt, einsteigen, was er souverän gemacht hat. Mit von der Partie Henning Sieverts am Bass, Shinya Fukumori am Schlagzeug und eben Komponist und Tenorsaxofonist Matthieu Bordenave. "Azur", "Karmin" und "Gris Acier" (Stahlgrau) sind impressionistisch malerische Kompositionen, die die harmonischen Ansätze weich ineinander fließen lassen. Das Verlaufen und sich ineinander Mischen lässt keine harten Akzente zu. Der Ton von Bordenave an einem silbernen Tenorsax ist rauchig sanft und erinnert an Stan Getz. Er fügt sich vorsichtig in die vorgegebene Grundfarbe des brillanten Trios und setzt Linien, die etwas mit Kandinsky oder Miro zu tun haben, um bei der Synästhesie zu bleiben.

Grand Angle. Musikalische Farbräume. Foto: Michael Wüst

In der Gesamtbewegung der verlaufenden Strukturen bleibt der Strich seines Tons deutlich und fest. Philipp Schiepeck spielt Soli mit sperrigen großen Intervallen, die gegenläufig verschoben werden und diskutiert so mehrere Versionen eines Bildrahmens, wodurch ein leuchtender Farbcubus entsteht. Gleich danach eine wunderbare, große, balkanesische Erzählung: Dine Doneff, so heißt der Komponist, Bassist, Tabla- und Oud-Spieler und so heißt auch das relativ kurzfristig zusammengestellte Programm, das explizit vom Kulturreferat vorgestellt wurde. Matthieu Bordenave am Tenorsax und neben ihm an Flügelhorn und Trompete Julian Hesse, im Hintergrund am Bass Dine Doneff. Dine Doneff, eigentlich Kostas Theodoru, ist als Sohn von Immigranten in Deutschland geboren. Er hat seine Wurzeln in Edessa, das heute in der Türkei liegt. Thema des Stückes, von dem wir viel erfahren, nur nicht den Titel, ist das Dorf seiner Kindheit. Die beiden Bläser geben als Prolog eine freie Sequenz. Danach fügt sich alles zu ruhigen geordneten Klängen. Im Hintergrund baut Dine Doneff unerschütterlich das Fundament seines Hauses, seines Dorfes. Die Bläser sind frei, dennoch wächst das Gebilde. Bordenave spielt schärfer, strahliger, die Mollvariationen des Balkans und der arabischen Tradition verzieren.

Dine Doneff baut das Dorf seiner Kindheit. Foto: Michael Wüst

Zu einem kurzen Thema gibt es einen Aufstieg, der etwas von der Zeit des Mingus-Septetts hat. Eruptiv, steil, dann wieder das Pulsare der ruhigen Akkorde. Die Bläser gehen ins Off ab. Dine Dineff spielt ein Solo auf einer am Boden liegenden Snare, einer Marschtrommel und zwei Becken. Dann kommt die Akkordeonistin Maria Dafka herein. Ihre ersten Töne kommen von ganz weit weg. Sie werden von einem Lufthauch zu uns getragen. Sie kommen aus einem Dorf, das wir hinter den Hügeln noch nicht sehen. Wird dort getanzt? Eine Hochzeit? Ein Hut fliegt in die Luft, er ist grau wie eine Taube. Da ist es, das Dorf der Vorstellung hinter Hügeln, die wir nicht überwinden können. Fantastisch! Eine ganz große Erzählung. Wer anschließend bei den drei Krassomaten von Organ Explosion im Carl-Orff-Saal blieb, wurde wieder in eine ganz andere Sphäre katapultiert. Seitdem Hansi Enzensberger (Hammondorgel), Ludwig Klöckner (Bass) und Manfred Mildenberger (Drums, elektronische Effekte) im Sommer 2016 ihre CD Level 2 herausbrachten, jagen die drei mit Blubb- Fiep-Wha-Bruzzel-Brizzel- Doppler-Nebengeräuschen durch die Wurmlöcher ihres Space-Funk-Weltraums. Charmant nostalgisch.

Organ Explosion. Es funkte wieder gewaltig. Foto: Michael Wüst

Ein bisschen Generation Atari. Kindheitshelden zischen durchs Bild: Captain Future und die Heroturtles gegen den bösen Sark aus Tron. Das Sci-Fi-Hintergrundrauschen wird vermixt mit Referenzen an Dr. Lonnie Smith oder Jimmy McGriff, klassischen Helden des Hammondsounds. The Masters of the Hammond-Universe. Vermixt, geshaked, geschreddert und verdammt funky serviert. Fröhlich angeheitert geht's nachhause.

Veröffentlicht am: 21.05.2018

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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