Kusejs Abschiedsinszenierung "Der nackte Wahnsinn"

Höchst vergnügliches Scheitern

von Jan Stöpel

Drei Einbrecher und ein Reinfall: Am Ende hat die Schauspieltruppe ihr Stück geschrottet, das Vergnügen der Zuschauer ist enorm. Foto: Matthias Horn/Residenztheater

Martin Kusej feiert seinen Abschied - und bringt mit Michael Frayns wilder Farce "Der nackte Wahnsinn" nochmals Theaterirrwitz auf die Bühne. Ein Stück im Stück, in dem nichts gelingt - als Bilanz seiner Münchner Jahre will Martin K. das gewiss nicht verstanden haben.

Wenn ein Intendant seine letzte Inszenierung auf die Bühne bringt, dann hat das oft was von Vermächtnis. Man erinnere sich an Dieter Dorn und seinen Abschieds-Kleist: „Käthchen von Heilbronn“ in epischer Breite, ausgestattet vom Lieblingsausstatter Jürgen Rose, und der Intendant spielte selber mit. Als Kaiser, angetan mit einem Mantel, den schon Rolf Boysen als heimatloser König Lear getragen hatte: nochmals Sprachkunst in Vollendung, Freude an dem, was das Residenztheater als Theatermaschine so auf die Bühne stellen konnte, dazu der Verweis auf die hauseigene Tradition an großen Darstellern. Dazu ein durchaus unbescheidener und dennoch allseits akzeptierter Abgang als höchster Monarch – das also war Dieter Dorns Abschied vom Staatsschauspiel.

Und Martin Kusej? Inszeniert Michael Frayns „Der nackte Wahnsinn“. Ein Stück übers Theater als Irrwitz. Ein Klassiker, so wie auch „Käthchen von Heilbronn“, aber eben kein Klassiker wie das Käthchen. Ein Klassiker, der erkennbar schon ein wenig Staub angesetzt hat, schließlich gibt es auch für Gags Moden und Zeiten. Kusej wird dem treuen Abo-Publikum damit dennoch in guter Erinnerung bleiben. Denn sein überragendes, präzis dirigiertes Ensemble fegt den Staub mit hohem Tempo beiseite. Man lacht Tränen.

Das durchaus bekannte, in jüngster Zeit nicht mehr gar so häufig gegebene Stück ist gut und doch überschaubar konstruiert. Wir erleben: erstens eine desperate Theatertruppe bei der völlig verhunzten Generalprobe eines völlig belanglosen Stückes. Wir erleben die Truppe – zweitens – beim ebenso desperaten Tournee-Alltag. Und drittens: beim Zusammenbruch. All das spielt sich ab mit viel Herauf- und Heruntergelaufe, Türen, die im richtigen Moment auf- und zugehen, Missverständnisse allenthalben, am schönsten natürlich, wenn die Schauspieler-Schauspieler am Ende auf Situationen reagieren wollen, die im Textbuch stehen, im chaotischen Treiben auf der Bühne aber längst verschütt gegangen sind. Ein Bühnen-Uhrwerk wie bei Feydeau, nur dass hier die Zeit aus den Fugen ist. Und zwischendurch: Sardinen, immer neue Sardinen auf einem Teller, Snack für die Putzfrau.

Der Regisseur, er heißt vorsichtig selbstironisch Martin K., ist ein Tyrann, kein Bühnengott, eher ein Demiurg, ein Gott des Pfuschs. Seine Darsteller sind ziemlich menschlich: Sie stellen Fragen, sind aber meistens gar nicht recht bei der Sache, sondern vielmehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt. Der eine säuft, der andere ist von seiner Frau verlassen, die eine ist frustriert, die andere hat was mit dem Regisseur und weiß nicht, dass sie nicht die einzige ist. Schlecht vorbereitet sind sie alle miteinander auch noch, es kann nicht gut gehen, es geht auch nicht gut. Der Weg zum endgültigen Scheitern im Leben wie auf der Bühne ist so lustig, wie er es mit den Mitteln der vergangenen Jahrzehnte nur sein kann. Wie gesagt: Ein Klassiker ist Michael Frayn schon. Irgendwie.

Kusej hat den Text, nun ja, behutsam aktualisiert. Da ist ein Verweis auf eine Schauspielerin aus einem Theater „von der anderen Seite der Straße“, wo die Schauspieler ihre Stücke während des Spielens selbst erfinden, das kann man mit einem Mindestmaß an bösem Willen als Anspielung auf die Kammerspiele verstehen. Ansonsten bleibt alles meist tief in den 80ern, irgendwo zwischen „Dallas“ und YMCA, mit einer Wohnungseinrichtung, wie sie damals wohl weit verbreitet war, Flokatiteppich inklusive (Bühne Annette Murschetz). So richtig 80er Jahre sind die heruntergelassenen Hosen, die blanken Hinterteile und die Schnauzbärte, die Till Firit als Roger Trampelmann und Thomas Loibl als Franz Xaver Hötz tragen müssen.

Bei dieser Retroparty spielen auch die Kostüme (Heide Kastler) eine wichtige Rolle. Sophie von Kessel hat als Frau Klacker sogar ein schadhaftes Gebiss angepasst bekommen. Mit kurzem Rock und langen Strümpfen darf sie eine Putzfrau so spielen, wie man sich seinerzeit eine Putzfrau vorstellen wollte: ziemlich schlampig und niveaufrei. Sophie von Kessel immerhin holt aus dieser Rolle heraus, was geht. Ihr gelingt, was auch die anderen so scheinbar leichtfüßig hinbekommen: Sie macht aus Abziehbildern tragikomische Persönlichkeiten, als Schauspielerin Sophie wie als Haushälterin. Ein Niveau, das die restlichen Schauspieler halten: Norman Hacker als Martin K., Till Firit als Till und Trampelmann, Katharina Pichler als Kata und Belinda Hötz, Paul Wolff-Plottegg als Paul und Einbrecher, Arthur Klemt als Inspizient. Genija Rykova ist vordergründig ein blondes Dummerchen, erweist sich aber als wendige Zicke, und das unter der Zumutung, weite Teile des Stücks in Unterwäsche zu spielen – sie tut's tatsächlich mit Würde.

Thomas Loibl nicht nur der überschätzte Dramatiker Franx Xaver Hötz (alle Ähnlichkeiten mit lebenden Dramatikern sind sicherlich Zufall), sondern auch der von Selbstzweifeln geplagte Schauspieler Thomas, ein Sensibelchen, das Nasenbluten bekommt, wenn es von Gewalt auch nur hört. Ein reizvoller Gegensatz zu dem Schauspieler, den man am Resi eher in maliziösen Rollen kennt. Am Ende versinkt alles im Irrwitz, Nora Buzalka, die als Regieassistentin unter der Unfähigkeit der Schauspieler ebenso gelitten hat wie unter der Tyrannei des Regisseurs, taucht oben auf der Galerie auf und stürzt als eine Göttin des Gemetzels das Ganze ins Chaos. Eine gediegene Regiearbeit, gut funktionierende Mechanik, ein hervorragendes Ensemble - es dürfte nicht leichter werden für den Rest der Spielzeit, für dieses Abschiedsstückl noch Karten zu bekommen.

Veröffentlicht am: 01.11.2018

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