Josef Hader liest Thomas Bernhard im Salon Luitpold

Jubilierende Erbitterung

von Michael Weiser

Einer liest, die andern essen: Josef Hader im Luitpold-Salon. Foto: Michael Weiser

Josef Hader muss nicht Kabarett machen, um Publikum anzuziehen. Es genügt wenn er liest. Wie jüngst bei seinem Thomas-Bernhard-Abend im ausverkauften Salon Luitpold.  Hader als Hauptgericht: Wir servieren die Restaurantkritik nach.

Man kennt das Format aus manchen Klöstern. Im Refektorium versammeln sich zur Speisezeit die Fratres und Patres um den Tisch, um geistige wie körperliche Nahrung gleichermaßen aufzunehmen. Man isst, schweigend, um einem auserwählten Bruder zu lauschen, der fastend liest. Und zwar aus religiösen Büchern oder auch politischer Lektüre, zum Beispiel, da ist man heute nicht mehr so streng. Es sollte nur halbwegs erbaulich sein.

Größer als in den meisten Klöstern, noch dazu gemischt, mit einigen Männern und vielen Frauen: das Publikum in diesem Speisesaal, im Salon Luitpold an der Brienner Straße. Man speist und trinkt dort, nur einer nicht, und das ist Josef Hader, er nippt nur ab und zu an einem Wasser und steckt sich eine Pille gegen seine Männer-Grippe in den Mund. Er ist verschnupft nur in diesem viralen Wortsinn, ansonsten gut gelaunt. Als der Herr des Hauses, der Konditor Stephan J. Meier, erzählt, wie man einander kennengelernt hat, da wirft Hader ein: "Da war ich besoffen!"

Ein Hauch von Thomas Bernhard, das Gros der Gäste lacht voller Vorfreude. Erbaulich wird's also schon mal nicht. Es ist dann übrigens noch ein bisserl anders als im Refektorium, weil sich hier rausstellt, dass Essen und Lesen wirklich gut nur zusammenpassen, wenn das Lesen nicht absolut die Hauptsache ist. Die Kombination funktioniert im Kloster also offenbar besser als im Café. Es ist erst lustig, weil der Hausherr so lange begrüßen muss, bis die Kellner endlich ein halbes Dutzend Schnitzel an die Tische gebracht haben. Dafür klappert dann erstmal eine Zeit Besteck gegen Haders Vortrag an, so lange, bis endlich das Essen auf den Tellern aus ist.

Hader und Bernhard genügen ja doch als Kost:  Der eine ein begnadeter Kabarettist und mindestens ebenso begnadeter Schauspieler - man denke nur an Josef Haders grundtraurigen, vom Leben verbläuten und doch aberwitzig tapferen Ermittler Brenner in den Verfilmungen von Wolf Haas' Romanen. Der andere, der Autor, für den alles ein großer Graus und eine mindestens genau so große Lächerlichkeit war, dieser Thomas Bernhard, von dem man vielleicht nicht das ganze Werk, zumindest aber solche Sätze kennt: "Alles ist lächerlich, nur der Tod nicht." Damit hat er dem Leben alles gesagt, nur das wichtigste nicht; dass ihm das Leben über alles geht. Er war halt schon früh im Leben vom Tod umfangen, und alt geworden ist er auch nicht. In seinen nicht mal 60 Lebensjahren aber hat er jede Menge Gemeinheiten geschrieben.

Nicht zuletzt über seine Landsleute, wie Josef Hader mit ausgesuchten Stellen zeigt. Aus "Frost" etwa, in der ein junger Arzt das Bergstädtchen Weng als eine von Degeneration niedergedrückte, weltferne Vorhölle beschreibt. Das ist außerordentlich verstörend. Bernhard hatte mit diesem seinem ersten veröffentlichten Roman Ortschaften des Salzburger Landes bis zur Kenntlichkeit über- und verzeichnet. Ein Sturm der Entrüstung war die Folge für diesen schon so typischen Bernhard-Text: grimmig, voller gnadenloser Übertreibungen, radikal und existenzverneinend, ein Wahnsinn in Worten. Josef Hader liest ihn, und das beeindruckt, in der Tonlage jubilierender Erbitterung.

Hader liest aus Interviews (vielleicht besser: Interview-Versuchen), aus einem wunderbaren, von einem Journalisten abgelauschten Dialog zwischen Bernhard und seinem Lebensmenschen, der "Tante" Hedwig Stavianicek, ein Gespräch voller Schnurren, absurd und irgendwie doch auch zärtlich. Manchmal hat man den Eindruck, Bernhard schimpft ohne Unterlass auch nur dann, wenn er sich unter Beobachtung weiß: Ätzen als Pose.

In der Pause werden dann wieder Getränke und Speisen gereicht, das alles dauert, es dauert sogar sehr lang, zu lange fast schon, denn man war doch grad so gut drin gewesen in diesem Thomas-Bernhard-Ton. Dann geht es weiter, nur kommt man diesmal nicht mehr so richtig rein. Vielleicht auch, weil auch der große Josef Hader offenbar nicht unbegrenzt Konzentrationsvermögen bevorratet, oder deswegen, weil einem auf einmal auffällt, dass es ein wenig hallig im Salon ist und sich die intime Stimmung vom Beginn nicht mehr ganz einstellen mag. Dem Thomas Bernhard hätte das gewiss nichts ausgemacht, wusste er doch, dass die Welt ganz und gar kein heimeliger Ort sei, sondern im Gegenteil ein "riesiger Katafalk".

Veröffentlicht am: 05.02.2020

Über den Autor

Michael Weiser

Redakteur, Gründer

Michael Weiser (1966) ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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