Ottessa Moshfeghs Roman "Der Tod in ihren Händen"

Poetin des Grotesken

von Katrin Kaiser

Ottessa Moshfegh. Foto: Jake Belcher

Die amerikanische Autorin Ottessa Moshfegh hat ein Faible für von Neurosen und düsteren Leidenschaften getriebene Antiheldinnen. Mit einem todsicheren Gespür für die Schönheit und die Poesie des Hässlichen und Grotesken stilisiert sie in ihren Büchern absonderlich verschrobene Protagonistinnen zu Identifikationsfiguren.

Die Hauptfigur ihres neuen Buches "Der Tod in ihren Händen" ist mehr als 70 Jahre alt, verwitwet und noch immer tief geprägt von ihrer von Machtspielen dominierten Ehe mit einem narzisstischen deutschen Wissenschaftler. Nach dem Tod ihres Ehemannes hat sich Vesta Ghul einen Hund gekauft und ist ans andere Ende der Vereinigten Staaten gezogen.

Endlich frei von ihrem übertrieben vernunftbestimmten Ehemann, der es sich bei aller Nüchternheit nicht nehmen ließ seine Frau regelmäßig mit Studentinnen zu betrügen, genießt sie es, nun tun und lassen zu können, was sie will – und sich einbilden zu können, was sie will.

Zu Beginn der Geschichte findet sie bei einem Spaziergang im Wald einen Zettel mit der Aufschrift "Ihr Name war Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie getötet hat. Hier ist ihre Leiche." Doch anders als in einem klassischen Krimi gibt es hier keine greifbare Leiche.

Vestas Imagination jedoch ist in Gang gesetzt. Sie entwickelt in ihrer Vorstellung ein komplexes Setting für den Mordfall. Die auf dem Zettel erwähnte Magda erscheint ihr allein wegen ihres Namens als "Figur mit Substanz und mysteriöser Vergangenheit". Den Urheber der Zettelbotschaft tauft Vesta auf den Namen Blake. "Blake, so hieß ein Junge mit zotteligen blonden Haaren der Skateboard fuhr, Eis direkt aus der Packung aß und mit einer Wasserpistole herumfuchtelte (...) – eben ein Junge, der schreiben würde: Ich war es nicht."

Ein wenig wirkt Vesta wie die gealterte Version der Titelfigur aus Moshfeghs Vorvorgänger-Roman "Eileen", der 2017 in Deutschland erschienen ist. Die junge Eileen wird von ihrem alkoholabhängigen Vater tyrannisiert, arbeitet in einer Strafvollzugsanstalt und trägt mehrere Lagen Unterwäsche übereinander, um keinerlei Körperlichkeit erahnen zu lassen. Gleichzeitig träumt sie von ihrer gewaltsamen Entjungferung durch einen muskelbepackten Gefängniswärter. Eileen und Vesta leben beide in kleinstädtischer Enge, die ihnen kein selbstbestimmtes Leben erlaubt, und haben dabei eine perverse Freude an der Freiheit ihrer Imagination.

Der Tod in ihren Händen / Cover: Hanser

Vesta Ghul ist ein Paradebeispiel dessen, was die Literaturwissenschaft als unzuverlässige Erzählerin bezeichnet. Ab einem gewissen Punkt verschwimmen für den Leser Vestas reale Situation und ihre Imagination. Spätestens wenn auf der Realitätsebene ganz selbstverständlich Figuren mit von Vesta für ihre Magda-Geschichte ersonnenen Namen auftauchen, fühlt man als Leser ein unmittelbares Schaudern. Gleichermaßen erfreut man sich jedoch an ihrem scharfsinnigen Humor und der fast zärtlichen Hinwendung zu den Figuren ihres selbst entworfenen Mordfalls.

Auf eine herausragende dramaturgische Pointe wie in "Eileen", wo die Protagonistin genau dadurch, dass sie so sehr in ihrer eigenen Welt lebt, Teil eines realen Selbstjustizaktes wird, wartet man in "Der Tod in ihren Händen" vergeblich. Eine eindeutige Auflösung bleibt Moshfegh in ihrem aktuellen Roman schuldig.

Genau wie bereits in "Eileen" gelingt Ottessa Moshfegh aber auch in "Der Tod in ihren Händen" das Kunststück, eine Figur, die absolut abstoßend wirken könnte, in höchstem Maße faszinierend und zugleich zutiefst menschlich erscheinen zu lassen. Das sehr zugänglich geschriebene Psychogramm einer Frau jenseits jeder gesellschaftlichen Norm beeindruckt.

Ottessa Moshfegh: Der Tod in ihren Händen, Hanser, 256 Seiten, 22 Euro, E-Book 16,99 Euro

Veröffentlicht am: 18.03.2021

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