Schätze aus dem Stahlschrank

von kulturvollzug

Notre Dame, Reims, Fotograf Èduard-Denis Baldus, um 1853 (c) Architekturmuseum der TU München

In der opulenten Ausstellung "Fotografie für Architekten" zeigt das Architekturmuseum der TU München in der Pinakothek der Moderne erstmals eine Auswahl seines Fotobestandes.

"Ein guter Architekt muss dafür sorgen, dass er einen guten Fotografen hat", meinte Günter Behnisch, "sonst wissen die Leute nicht, was er tut". Der im vergangenen Jahr verstorbene Stararchitekt, der mit der von ihm gestalteten Zeltlandschaft im Münchner Olympiapark Architekturgeschichte geschrieben hat, wusste, wovon er sprach. Der professionelle Blick des Fotografen auf das Bauwerk und seine Umsetzung in Bilder kann beim Betrachter einen Perspektivenwechsel, eine Wahrnehmungsveränderung auslösen.

Architekturfotografie. Fotografie für Architekten und für das Publikum. Begonnen hatte alles ganz anders. Was bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts von den Bauwerken der Welt vermittelt wurde, geschah durch Gemälde, Zeichnungen, Stiche, Modelle. Auch durch langatmige Beschreibungen. Das änderte sich in der 1850er Jahren. Fotografie - so hieß das neue Zauberwort. Pioniere dieses neuen Mediums, Edouard-Denis Baldus beispielsweise, oder Antonio Beato und Pascal Sébah, begannen, die Motive der Weltarchitektur auf Glasplatten zu bannen. Von den Pyramiden von Gizeh über die Kathedrale zu Reims bis zur Notre Dame de Paris fanden ihre Werke durch den aufkommenden Tourismus reißenden Absatz. Es war die Geburtsstunde der Ansichtskarte. Die Bilder konnten aber auch über internationale Agenturen und Kataloge bestellt werden und flossen so in die Berichterstattung ein.

Die Entstehung dieser Bilder ist heute gar nicht mehr vorstellbar. Der Rollfilm war noch nicht entwickelt. Da es noch keine Vergrößerungsmöglichkeiten gab, mussten die Negative das Format der späteren Abbildung haben, was entsprechend große Aufnahmegeräte voraussetzte. Der Fotograf reiste mit Helfern und einem gigantischen Equipment aus großformatigen Kameras, schweren Glasplatten, Dunkelkammerzelt und jeder Menge Chemie zum Aufnahmeort. Anhand einer um 1855 entstandenen Aufnahme des Dogenpalastes in Venedig von Jakob August Lorant im Format 60 x 80 cm kann der Besucher ermessen, was für ein gewaltiges Aufnahmegerät und welch ein Aufwand an Manpower erforderlich war, um das Foto zu machen.

Die Baumeister entdeckten dieses neue Medium sehr bald für sich. Noch im 19. Jahrhundert, verstärkt dann ab den 1920er Jahren beauftragten Architekten Berufsfotografen damit, den Bautenstand ihrer Werke festzuhalten und ihre gebauten Ideen dann werbewirksam und ihren Intentionen entsprechend ins rechte Licht zu rücken. Ein Meister dieser medialen Inszenierung war Le Corbusier. Sein für die Stuttgarter Weißenhofsiedlung entworfenes Doppelhaus, ein Musterbeispiel für schlichtes, schnörkelloses Bauen, wurde 1927 von dem berühmten Fotografen Dr. Lossen festgehalten. Durch den gezielten Einsatz von Fotografie wurde nicht nur der Name des Fotografen, sondern vor allem der Architekt und sein Werk weltweit bekannt. Lossens Fotografien sind jetzt mit rund 280 weiteren Originalabzügen in der Ausstellung zu sehen.

Schon bei Gründung der Polytechnischen Hochschule im Jahre 1868 wurden Lehrsammlungen eingerichtet, aus denen das heutige Architekturmuseum hervorgegangen ist. Zu den gesammelten Lehrmaterialien gehörten zunächst Modelle, Abgüsse und Vorlagenblätter. Mitte des 19. Jahrhunderts kam die Fotografie dazu. Gezielte Ankäufe über Fotoagenturen in Florenz, Neapel, Madrid und Paris, aber auch die Überlassung von Architektennachlässen ergeben einen ständig wachsenden Fundus an Architekturmotiven von den Anfängen des Mediums Fotografie bis in die heutige Zeit. Aktuell umfasst die Sammlung rund 200.000 Aufnahmen und Glasplatten von mehr als 800 Fotografen. Ein kleiner Teil dieses Schatzes aus den Stahlschränken des Architekturmuseums wird nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.

Primmtalviadukt, Eisenbahnbrücke bei Marnheim 1872-1874, Fotograf J.F. Maurer (c) Architekturmuseum der TU München

Ihrem Thema wird die Ausstellung da gerecht, wo sie zeigt, wie die Fotografen zu Helfern der Architekten wurden. Schon früh wurden Bautenstände fotografisch dokumentiert, wie die um 1855 entstandene Aufnahme der Bauarbeiten am Kölner Dom von Carl Westendorpp zeigt. Die Fotografen liefern Bilder von Landschaften oder städtischen Standorten, die als Hilfsmittel für den Entwuf des Bauwerks eingesetzt werden. Architekten wie Friedrich von Thiersch, Theodor Fischer oder Richard Riemerschmidt malen, zeichnen, ritzen ihre Entwürfe in die Fotos, um die dimensionale Wirkung, die Anpassung der geplanten Objekte in die vorgesehene Umgebung zu erproben.

Ab den 1920er Jahren bedienen sich die Architekten zunehmend der Fotografen der neuen Sachlichlichkeit und ihrer besonders klaren, schnörkellosen Bildsprache. Exemplarisch zeigt die Ausstellung unter anderem Fotos von Alfred Renger-Patzsch, einem fotografischen Pionier dieser Zeit. Die Haniel-Garage des Architekten Paul Schneider-Eisleben in Düsseldorf ist ebenso zu sehen wie die 1949 entstandenen Aufnahmen, die den Bau des Bundeshauses in Bonn zeigen. Hier ergeben sich Parallelen zu der zeitgleich in der Pinakothek der Moderne gezeigten Ausstellung "Die neue Wirklichkeit". Aufnahmen von Hilla und Bernd Becher wiederum dokumentieren Industriebauten und ihren Zerfall, Wassertürme, Hochöfen. Beeindruckend eine Gegenüberstellung von Bergarbeiterhäusern mit ihren vorder- und rückseitigen Fassaden. Während zur Straße hin die Schiefervertafelung sichtbar ist, weisen die Rückseiten der Häuser teils notdürftige Fachwerkkonstruktionen auf.

Paul Schneider-Eisleben, Haniel-Garage 1950/51 (c) Albert Renger-Patzsch-Archiv, Ann und Jürgen Wilde/VG Bild-Kunst, Bonn 2010

In einer in München gezeigten Ausstellung dürfen Münchner Bauten nicht fehlen. Zu sehen sind unter anderem fotografische Bestandsaufnahmen von Georg Böttger, neben Joseph Albert und Erich Hanfstaengl einer der bedeutenden Fotografen Münchens für Landschaft und Architektur. Bilder von Hildegard und Hans Steinmetz zeigen den Bau des Flughafens München-Riem. Von Sigrid Neubert, einer der bedeutendsten Münchner Architekturfotografinnen  der Gegenwart, sind Aufnahmen des BMW-Verwaltungsgebäudes und -museums am Petuelring zu sehen.

Es ist eine gewaltige, aufgrund ihrer fachlichen Ausrichtung anspruchsvolle und den Betrachter fordernde Ausstellung. "Um unsere gebaute Umwelt besser verstehen und beurteilen zu können, bedarf es der Kenntnis der Prinzipien der Architekturfotografie", meint Winfried Nerdinger, der Leiter des Architekturmuseums. Dies umzusetzen ist dem Kuratorenduo Hanna Böhm und Irene Meissner mit gezieltem Blick auf die eigenen Bestände des Hauses geglückt.

Die Ausstellung "Fotografie für Architekten - Die Fotosammlung des Architekturmuseums der TU München" ist noch bis zum 19. Juni in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen. Zur Ausstellung ist ein von Winfried Nerdinger herausgegebener Katalog erschienen.

Angelika Irgens-Defregger/Achim Manthey

Veröffentlicht am: 09.04.2011

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