2. Klangfest auf dem Werksviertel-Mitte

Von Brüllwürfeln und Blechkreiseln

von Michael Wüst

Bavaschoro. Foto: Michael Wüst

Letztes Jahr, als das Klangfest das erste Mal auf dem Werksviertel Mitte stattfand, kamen die ersten Besucher mit Anoraks. Heuer, zwei Tage früher im Jahr, am Samstag, 9. September 2023, wurde es ein strahlendes Sommerfest. Und obwohl wahrlich einiges in der Stadt geboten war und manche meinten, es wäre mit knapp 30 Grad zu heiß, der Knödelplatz mit der Open-Air-Bühne war am Ende knackvoll. Die drei Bühnen, Technikum, Nachtkantine und Werk7-Theater boten Abkühlung bei reichhaltigem Programm.

Los ging's mit Bavaschôro aus Unterbiberg, dem Zentrum der bairischen Weltmusik auf der Open-Air-Bühne. Die Himpsl-Brüder Xaver Maria (Flügelhorn) und Ludwig Maximilian (Horn und Perkussion) haben auf der gleichnamigen CD den „Chôro“, einen brasilianischen Vorläufer des Samba, mit Hilfe der Gitarristen Henrique Miranda de Rebouças und Luis Maria Hölzl zusammengebracht. Schuld war auch hier wieder einmal der Jazz-Trompeter Claudio Roditi gewesen, der insgesamt für die musikalische Entwicklung der fünfköpfigen Familie so wichtig war, wie der Vater Franz Josef Himpsl stolz erzählte.

Xaver Maria am Flügelhorn hat einen smoothen Ton und phrasiert modern und sehr elegant, dass man an Clifford Brown denken muss. Die Gitarren legen einen unbezwingbar ruhigen Groove-Teppich bei Stücken mit großer Dynamik („Assanhado“) und gelegentlicher Melancholie (Santa Morena).

Was für ein souveräner Auftakt!

Schnell in die Nachtkantine zum Singer-Songwriter, bevor es rübergeht zu Liver of a Duck ins Technikum, wo es was auf die Ohren geben sollte. Ryan Inglis in der Nachkantine ist ein hochgewachsener Englishman, der mit kräftiger Stimme klassisch und überzeugend von den Fährnissen des Lebens berichtet. Aber muss da ein Rhythmus-Automat wirklich dabei sein?

Im Technikum ist noch ein bisschen Zeit für ein Warm Up des Frontmannes Flixbus 451 von Liver of a duck, weil irgendein Sample vom Computer des Drummers Dörnie Freybier noch nicht vollgeladen hat. An der Bühnenkante sind Plastikenten in allen Farben aufgereiht, die Metall-Unterhalter aus Freising tragen sämtlich schwarze Anzüge - weniger passend für eine Abendgesellschaft, sie wirken eher wie frisch zurück von einer Beerdigung. Dann ist die Schießbude startklar und Flixbus 451 gibt grußlos den Brüllwürfel. Den Enten haut's die begehrte Leber raus, was will man mehr? Dickes Brett.

Der Wenz. Foto: Michael Wüst

Jobassa, ein aufgeregtes Rotkehlchen mit violettem Schopf, ist beeinflusst unter anderem von Ariana Grande, wird uns erklärt und verbindet Pop mit Electronic, R'n'B und viel Gefühl. Vor allem mit viel digitaler Technik, die nicht richtig startet. Sie hat außerdem ihre Backing Vocals in Köln zurücklassen müssen und übt deshalb im hin und her Hüpfen auf dem Bandstand mit dem Publikum einen Refrain ein: „…on my mind“. Das geht so eine Weile, auch hin und her, mit mehrfachen Neustarts, dann klappt alles und wir können bestätigen: Gut gemachter Girlie-Pop ohne jede Spur von R'n'B.

Café Voyage, im Werk7-Theater, verströmt in dem Paolo Conte-Hit „Via con me“ (It's wonderful) mit bayerischem Text eine derzeit landesweit ungewohnte Lässigkeit und Weltläufigkeit. Günter Renner (Gitarre, Gesang) plädiert mit „Gema, gema viere, gema weida“ auch für Abkühlung der Gemüter. Maria Friedrich (Cello, Gesang), mit wunderschön libidinösem Ton am Cello pointiert mit viel Swing-Feeling.

Derweil absolut tiefenentspannt Samuel Heinrich, schräg gegenüber in der Nachtkantine an einem perkussiv mit den Händen gespielten Instrument in der Form eines überdimensionalen, umbrafarbenen Blechkreisels, der im Schneidersitz auf den Beinen ruht. Das „Aufschlag-Idiophon“, mit dem Namen „Handpan“ und einem gewissen Dritte-Welt-Image sieht man immer öfter bei Straßenmusikern. Es ist aber alpiner Herkunft. Das von Samuel Heinrich kommt aus Bern. Er spielt es auf den verschiedenen Klangflächen, ähnlich wie bei einer jamaikanischen Steel Pan, beidhändig mit vier soften Vibraphon-Schlegeln. Es bieten sich enge Akkordführungen an, die durch den natürlichen Nachhall weiter im Raum sanft vergehen können. Eine Schreibmaschine im Loop mit einem Synthie zusätzlich zu verbinden, gelingt auch hier nicht gleich. Dies überbrückt ein akustisches Warteschleifen-Sedativum.

Also noch einmal zurück ins schattige Werk7-Theater- gerade noch rechtzeitig vorne in die erste Reihe zur Anmoderation von Ralf Dombrowski. Wie schon letztes Jahr ist der großzügige und doch konzentrierte Raum sehr gut besetzt und es erwarten uns in der Folge drei Jazz-Acts der Sonderklasse. Den Anfang machen Andrea Hermenau (Klavier, Gesang) und Carolyn Breuer (Sopran- und Altsaxophon), die seit fünf Jahren zusammenarbeiten und hier von Ralf Dombrowski als veritable Vertreter der „Art of Duo“ vorgestellt werden. Ihr Stück „Schwalbentanz“ verwandelt den Blick in den weiten Himmel, nur durchkreuzt von den zackigen Linien der Vögel adäquat ins Musikalische. Man denkt an einen ähnlich großen Moment: „The seagulls of Kristiansund“ mit Mal Waldron (Klavier) mit Steve Lacey (Sopransax).

Irxn. Foto: Michael Wüst

Mittlerweile hat die Hitze ihren Höhepunkt erreicht und die Sonne knallt auf die Open-Air-Stage, wo Siiri ihren Blondschopf zu den mächtigen Breaks ihrer Band herumwirft. Wie gibt's denn das? Das klingt ja wie „Sweet Home Alabama“! Vorne, das Mädel aus dem Sauerland, das mit ihrer CD „Independence“ bereits für Furore gesorgt hat, hat alles im Griff, she is really born a rolling stone. Was für eine Kraft in der Stimme, was für eine unbändige Lebenslust! Americana-Einflüsse? She's got all that Americana! Dabei verleugnet sie ihre Roots in keiner Weise. In stillen Songs wie „Rain is falling“ überquert ihre starke Stimme dabei auch mal die Brüche des Lebens. Sie ist schon sehr weit gegangen. Hoffentlich bleibt sie fest auf dem Boden in ihren Stiefeln!

Absolut frisch geht's auch zu bei Falschgeld, der ehemaligen Schülerband vom Ammersee im Technikum. Jona Volkmann (Leadgitarre, Gesang) hat gerne eine Art Morgenmantel um, in dem er mit heftigen Sprüngen und harten Riffs die Band vor sich hertreibt. Reggae-Oi-Rock mit dem jungenhaften Charme eines frühen Westernhagen. Am Königsplatz haben sie auch schon vor 20.000 gespielt. Heuer haben sie bereits den Wettbewerb „Running For The Best“ gewonnen.

Im Endspurt gestreift: Die Wolfgang Lackerschmid Connection im Werk7 Theater. Die unglaublich reiche Musikergeschichte des Vibraphonisten geht zurück bis zu Begegnungen mit absoluten Legenden des Jazz wie Chet Baker. Im Werk7 -Theater begeistert das Quartett modern-brasilianisch. Mit ihrer Version des Clifford-Brown-Stücks „Alone Together“ schließt sich ein Kreis, der am Anfang des Tages mit Bavaschôro begann.

Linda und Bernie M. von Irxn. Foto: Michael Wüst

Bei Heischneida aus dem Chiemgau kocht es noch einmal auf dem Knödelplatz. Der Wenz, ein Kraftakt zwischen Bierzelt-Punk und Alpenrevolutionär, „Hirn und Zunge“ der Band lässt die Wortfetzen rappeln. „Zwischen Glasscherm und Bluad hamma danzt.“ Die Trompeten Ghettoblastern im Off-Beat dazwischen und aus der nicht enden wollenden Schlange der Party-Adepten für das AAHHH drehen sich verwundert indignierte Köpfe in Richtung des Bayern-Mob. Der Wenz hat jedenfalls eine „Wuad“.

Alles halb so „wuid“. Am Ende intonieren IRXN ihre wunderschöne Assemblage bajuwarischer und keltischer Musik auf der Basis des genialen Klanges von Lindas Geige mit der Mandoline von Bernie M. Schon bei ihrer Version von „Dirty old town“ zum Soundcheck wird einem ganz warm ums Herz.

 

 

Veröffentlicht am: 14.09.2023

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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